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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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weilt, gnädige Frau, dann kommt es vor, daß er einen Brief in Versen absendet, einen grandiosen, den er jedoch nachher mit den Tränen seines ganzen Lebens zurückholen möchte, denn der Schönheitssinn wird durch ihn verletzt. Aber das Vögelchen ist aus dem Käfig davongeflattert, und man kann es nicht am Schwanz packen! Und in diesem Vorhof, gnädige Frau, ist es möglich, daß Lebjadkin etwas über eine vornehme junge Dame entschlüpft ist, in edler Entrüstung seiner durch Kränkung empörten Seele, das sich seine Verleumder zunutze gemacht haben. Aber Lebjadkin ist schlau, gnädige Frau! Und der unheilverkündende Wolf lauert umsonst über ihm, schenkt ihm jede Minute nach und harrt des Endes: Aber Lebjadkin wird sich nicht verraten, und auf dem Boden der Flasche findet sich statt des Erwarteten jedesmal – die Schlauheit des Lebjadkin! Aber genug davon, o genug! Gnädige Frau, Ihre prachtvollen Gemächer könnten dem Edelsten aller Menschen gehören, aber der Kakerlak begehrt nicht auf! Merken Sie, merken Sie doch endlich, daß er nicht aufbegehrt, und huldigen Sie dem großen Geist!«
    In diesem Augenblick hörte man von unten aus der Diele die Hausglocke, und fast unmittelbar darauf erschien Alexej Jegorowitsch, der nach dem Läuten von Stepan Trofimowitsch auf sich hatte warten lassen. Der alte, würdige Diener war in ungewöhnlich erregter Verfassung.
    »Nikolaj Wsewolodowitsch sind soeben eingetroffen und sind auf dem Weg hierher«, antwortete er auf den fragenden Blick Warwara Petrownas.
    Ich erinnere mich ganz besonders deutlich an sie in diesem Moment: Zuerst wurde sie kreideweiß, dann aber begannen ihre Augen plötzlich zu funkeln. Sie richtete sich im Sessel auf, mit einer Miene ungewöhnlicher Entschlossenheit. Und auch alle anderen waren verblüfft. Die völlig unerwartete Ankunft Nikolaj Wsewolodowitschs, der frühestens in einem Monat bei uns erwartet wurde, war merkwürdig, und zwar nicht nur wegen ihrer Plötzlichkeit, sondern wegen der fatalen Koinzidenz mit der augenblicklichen Situation. Sogar der Hauptmann blieb wie eine Salzsäule mitten im Zimmer stehen und starrte mit offenem Mund und furchtbar dummer Miene auf die Tür.
    Und nun hörte man aus dem Nebenraum, einem großen und langgestreckten Saal, sich rasch nähernde Schritte, kurze, ungewöhnlich schnelle Schritte; es klang, als käme jemand angerollt, und plötzlich stürmte in den Salon – keineswegs Nikolaj Wsewolodowitsch, sondern ein uns allen völlig unbekannter junger Mann.
    V
    ICH gestatte mir, hier einen Augenblick zu verweilen und wenigstens mit einigen flüchtigen Strichen diese unverhofft erscheinende Person zu skizzieren.
    Es war ein junger Mann von ungefähr siebenundzwanzig Jahren, vielleicht auch etwas mehr oder weniger, etwas größer als mittelgroß, mit spärlichem weißblondem, ziemlich langem Haar und flockigem, sich kaum abhebendem Bärtchen und Schnurrbart. Er war gepflegt und sogar modisch gekleidet, wenn auch nicht stutzerhaft; auf den ersten Blick fielen an ihm eine schlechte Haltung und etwas Linkisches in die Augen, aber er hatte keine schlechte Haltung und war auch nicht linkisch. Auf den ersten Blick schien er ein Sonderling, aber wir alle fanden später seine Manieren durchaus anständig und das, was er sagte, immer vernünftig.
    Niemand kann behaupten, er sei unansehnlich, aber sein Gesicht gefällt niemand. Sein Hinterkopf ist lang, wie auf beiden Seiten zusammengedrückt, so daß sein Gesicht schmal und spitz erscheint. Seine Stirn ist hoch und schmal, aber die Gesichtszüge sind nichtssagend; der Blick ist scharf, das Näschen klein und spitz, die Lippen sind dünn und lang. Der Gesichtsausdruck scheint leidend, aber das scheint nur so. Eine trockene Falte auf beiden Wangen und vorspringende Backenknochen verleihen ihm das Aussehen eines Rekonvaleszenten nach schwerer Krankheit. Und doch ist er völlig gesund, stark und ist sogar niemals krank gewesen.
    Er geht und bewegt sich sehr hastig, aber er ist niemals eilig. Es scheint, als gäbe es nichts auf der Welt, was ihn in Verlegenheit bringen könnte. Unter beliebigen Umständen und in beliebiger Gesellschaft bleibt er stets derselbe. Er ist mit sich höchst zufrieden, aber ohne es je selbst zu merken.
    Er spricht sehr schnell, hastig, aber gleichzeitig selbstsicher und hat immer eine Antwort parat. Seine Gedanken sind ruhig, trotz aller Hast, klar und endgültig – und das fällt besonders auf. Er artikuliert erstaunlich deutlich; seine

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