Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
dieser Angelegenheit nicht die geringste Bedeutung bei, und zweitens gibt es doch gewisse Fälle, bei denen es einem Menschen schwerfällt, persönlich eine Erklärung abzugeben, und er unbedingt auf eine dritte Person angewiesen ist, der es leichter fällt, über bestimmte delikate Zusammenhänge zu sprechen. Glauben Sie mir, Warwara Petrowna, Nikolaj Wsewolodowitsch trifft nicht die geringste Schuld, wenn er vorhin auf Ihre Frage nicht auf der Stelle mit einem radikalen Kommentar geantwortet hat, ungeachtet dessen, daß die Angelegenheit keine leere Eierschale wert ist. Ich bin darüber noch von Petersburg her unterrichtet. Außerdem gereicht diese ganze Anekdote Nikolaj Wsewolodowitsch nur zur Ehre, wenn man unbedingt dieses verschwommene Wort ›Ehre‹ gebrauchen will …«
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie Zeuge eines Vorfalls gewesen sind, der zu dieser … Verwirrung geführt hat?« fragte Warwara Petrowna.
»Zeuge und Beteiligter«, bestätigte Pjotr Stepanowitsch eilig.
»Wenn Sie mir Ihr Wort geben, daß die rücksichtsvollen Gefühle nicht verletzt werden, die Nikolaj Wsewolodowitsch bekanntlich mir gegenüber, vor der er gar nichts verheimlicht, hegt … Und wenn Sie überzeugt sind, daß Sie ihm damit sogar einen Gefallen erweisen …«
»Selbstverständlich einen Gefallen! Und eben darum erweisen Sie auch mir einen Gefallen. Ich bin überzeugt, daß er selbst mich darum bitten würde.«
Recht eigentümlich und außerhalb aller Gepflogenheiten war dieser aufdringliche Wunsch dieses vom Himmel gefallenen Herrn, fremde Anekdoten zu erzählen. Aber er hatte Warwara Petrowna an der Angel, weil er ihren wundesten Punkt berührt hatte. Damals war ich mir über den Charakter dieses Menschen noch nicht im klaren und noch weniger über seine Absichten.
»Ich höre«, ließ Warwara Petrowna distanziert und vorsichtig vernehmen, unter der eigenen Herablassung sichtlich leidend.
»Die Geschichte ist kurz; sie ist sogar, wenn Sie so wollen, nicht einmal eine richtige Anekdote«, rieselten die Glasperlen. »Ein Romancier könnte allerdings vor lauter Nichtstun einen Roman daraus backen. Ein recht interessantes Histörchen, Praskowja Iwanowna, und ich bin sicher, daß auch Lisaweta Nikolajewna gespannt zuhören wird, denn darin finden sich viele wenn nicht wunderbare, so doch wunderliche Begebenheiten. Vor etwa fünf Jahren, in Petersburg, lernte Nikolaj Wsewolodowitsch diesen Herrn kennen, der jetzt vor Ihnen mit offenem Mund dasteht und soeben, wie es scheint, im Begriff war, das Weite zu suchen. Pardon, Warwara Petrowna! Ich rate Ihnen übrigens ab, Herr Beamter a. D. beim ehemaligen Proviantamt (Sie sehen, ich erinnere mich an Sie), auszureißen! Sowohl mir als auch Nikolaj Wsewolodowitsch sind Ihre bisherigen Streiche, über die Sie werden Rechenschaft ablegen müssen, allzu gut bekannt, vergessen Sie das nicht! Pardon, Warwara Petrowna, noch einmal. Nikolaj Wsewolodowitsch pflegte damals diesen Herrn seinen Falstaff zu nennen. Das muß wohl« (er glaubte, es plötzlich erklären zu müssen) »ein ehemaliger Charakterdarsteller sein, burlesque, über den alle lachen und der auch selbst allen erlaubt, über ihn zu lachen, wenn sie nur zahlen. Nikolaj Wsewolodowitsch führte damals in Petersburg ein sozusagen ironisches Leben, mir fällt kein besserer Ausdruck ein, denn in Enttäuschung kann dieser Mensch nicht versinken, und Beschäftigung verschmähte er damals von sich aus. Ich spreche jetzt nur von damals, Warwara Petrowna. Dieser Lebjadkin hatte eine Schwester – es ist eben die, welche soeben hier saß. Brüderchen und Schwesterchen hatten keine eigene Bleibe und schlüpften bald hier, bald dort unter. Er trieb sich unter den Arkaden des Gostinnyj dwor herum, unbedingt in seiner einstigen Uniform, und sprach die besseren Passanten an, um alles Erbettelte – zu vertrinken. Das Schwesterchen aber ernährte sich wie ein Vogel unter dem Himmel. In ihren Nachtquartieren half sie aus und verdiente sich das Nötigste als Magd. Es war das fürchterlichste Sodom; ich übergehe die Schilderung dieses Winkellebens – eines Lebens, wie es damals aus einer wunderlichen Laune auch Nikolaj Wsewolodowitsch führte. Ich spreche nur von damals, Warwara Petrowna; und was die ›wunderlichen Launen‹ betrifft, so ist das sein eigener Ausdruck. Er macht aus vielem mir gegenüber kein Geheimnis. Mademoiselle Lebjadkina, die eine Zeitlang Nikolaj Wsewolodowitsch allzuoft über den Weg laufen mußte, war von
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