Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
Worte perlen wie ebenmäßige, große Körner, stets passend und stets jedem zu Diensten. Anfangs findet man daran ein gewisses Gefallen, dann aber fühlt man sich abgestoßen, gerade durch diese allzu klare Artikulation, gerade durch diese Glasperlen von stets vorrätigen Worten. Und auf einmal drängt sich die Vorstellung auf, die Zunge in seinem Mund müsse eine ganz besondere Form haben, irgendwie ungewöhnlich lang und schmal sein, ganz furchtbar rot, mit einer außerordentlich scharfen, unentwegt und wie von selbst kreisenden Spitze.
    Und dieser junge Mann kam jetzt in den Salon hereingestürzt, und ich glaube wahrhaftig bis heute, daß er bereits im Nebenraum zu sprechen angefangen hatte und immer weitersprechend bei uns eingetreten war. Augenblicklich pflanzte er sich vor Warwara Petrowna auf.
    »… Stellen Sie sich vor, Warwara Petrowna«, rieselten die Glasperlen, »ich komme und glaube, er wäre bereits seit einer Viertelstunde hier; vor anderthalb Stunden ist er angekommen; wir trafen uns bei Kirillow; er machte sich vor einer halben Stunde auf den Weg und bestellte mich eine Viertelstunde später ebenfalls hierher …«
    »Wer denn? Wer hat Sie hierherbestellt?« wollte Warwara Petrowna wissen.
    »Natürlich Nikolaj Wsewolodowitsch! Ist es möglich, daß Sie erst jetzt davon erfahren? Aber wenigstens sein Gepäck muß doch schon lange angekommen sein, wieso hat man es Ihnen nicht gemeldet? Also ich bin der erste, der ihn ankündigt. Man könnte ihn freilich irgendwo abholen, aber er wird ohnehin jeden Augenblick eintreffen und vermutlich genau zu dem Zeitpunkt, der gewissen Erwartungen und, wenigstens soweit ich es beurteilen kann, Vorstellungen seinerseits entspricht.« Darauf sah er sich im Salon um und ließ seinen Blick besonders aufmerksam auf dem Hauptmann ruhen. »Ach, Lisaweta Nikolajewna, wie ich mich freue, Ihnen sogleich beim ersten Schritt zu begegnen, ich freue mich sehr, Ihnen die Hand drücken zu dürfen«, er flog rasch auf Lisa zu, um ihre Hand zu ergreifen, die sie ihm fröhlich lächelnd entgegenstreckte, »und auch die hochverehrte Praskowja Iwanowna scheint, soweit ich sehe, ihren ›Professor‹ nicht vergessen zu haben und ist ihm sogar nicht einmal böse, anders als in der Schweiz, wo sie ihm immer böse war. Aber wie geht es hier Ihren Beinen, Praskowja Iwanowna? Und hat das Schweizer Consilium Ihnen zu Recht das heimatliche Klima verschrieben? … Wie? Umschläge? Die werden gewiß helfen! Aber wie groß war mein Bedauern, Warwara Petrowna« (er wandte sich abermals rasch um), »daß es mir nicht gelang, Sie damals im Ausland zu treffen und Ihnen persönlich meine Verehrung zu bezeigen, zumal ich Ihnen manches zu berichten hatte … Ich habe hierher an meinen alten Herrn geschrieben, aber nach seiner Gewohnheit scheint er …«
    »Petruscha!« rief Stepan Trofimowitsch, der jäh aus seiner Erstarrung erwachte; er schlug die Hände zusammen und stürzte zu seinem Sohn. »Pierre, mon enfant, ich habe dich doch nicht erkannt!« Er schloß ihn in die Arme, und seine Augen liefen von Tränen über.
    »Sei nicht kindisch, sei nicht kindisch, keine großen Gesten, es reicht, es reicht, ich bitte dich«, murmelte Petruscha, wobei er sich bemühte, den Armen seines Vaters zu entkommen.
    »Immer, immer habe ich mich dir gegenüber schuldig gemacht!«
    »Und jetzt reicht es; davon später. Ich habe ja im voraus gewußt, daß du mir kindisch kommst. Sei doch ein wenig nüchterner, ich bitte dich.«
    »Aber ich habe dich doch seit zehn Jahren nicht gesehen!«
    »Um so weniger Anlaß zu Seelenergüssen …«
    »Mon enfant!«
    »Ich glaube, ich glaube ja, daß du mich liebst, weg mit den Händen. Du bist doch den anderen im Weg … Ah, da ist ja auch Nikolaj Wsewolodowitsch, ich bitte dich, sei nicht kindisch, hör endlich auf!«
    Nikolaj Wsewolodowitsch befand sich tatsächlich schon im Zimmer; er war sehr langsam eingetreten, für einen Augenblick in der Tür stehengeblieben und ließ seinen Blick langsam über die Anwesenden schweifen.
    Wie vor vier Jahren, als ich ihn zum ersten Mal sah, ganz genau so war ich auch jetzt beim ersten Blick verblüfft. Ich hatte ihn keineswegs vergessen; aber es muß wohl Physiognomien geben, die immer, jedesmal, wenn sie auftauchen, etwas Neues an sich haben, das man an ihnen bislang noch nicht wahrgenommen hat, auch wenn man ihnen schon hundertmal begegnet ist. Er war offenkundig ganz derselbe wie vor vier Jahren: ebenso elegant, ebenso gemessen,

Weitere Kostenlose Bücher