Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
vielleicht nicht an einen derart wahnwitzigen Traum verloren. Eine Frau, nur eine Frau kann das verstehen, Pjotr Stepanowitsch, und es ist sehr schade, daß Sie … das heißt, es ist nicht schade, daß Sie keine Frau sind, aber dieses einzige Mal sollten Sie das verstehen!«
»Das heißt: je schlechter, desto besser, wie man so sagt, ich verstehe, ich verstehe, Warwara Petrowna. Ähnlich wie bei der Religion: Je schlechter es dem Menschen im Leben geht, je unterdrückter oder ärmer ein ganzes Volk ist, desto hartnäckiger träumt es von dem Lohn im Paradies, und wenn auch noch hunderttausend Geistliche das Ihre tun, um diesen Traum, auf den sie spekulieren, anzufachen, dann … Ich verstehe Sie, Warwara Petrowna, seien Sie unbesorgt!«
»Das trifft zwar nicht ganz zu, aber sagen Sie doch, sollte denn Nicolas, um diesen Traum in diesem unglücklichen Organismus« (weshalb Warwara Petrowna an dieser Stelle das Wort › Organismus ‹ gebrauchte, habe ich nicht begriffen) »auszulöschen, sollte er sich wirklich auch über sie lustig machen und sie so behandeln wie die anderen, die Beamten? Sollten Sie das erhabene Mitgefühl, jenes noble Erbeben des ganzen Organismus, mißbilligen, mit dem Nicolas mit plötzlicher Strenge Kirillow antwortete: ›Ich mache mich nicht über sie lustig.‹ Eine hohe, eine heilige Antwort!«
»Sublime!« murmelte Stepan Trofimowitsch.
»Dabei müssen Sie berücksichtigen, daß er keineswegs so reich ist, wie Sie glauben; ich bin reich, er ist es nicht, und damals nahm er fast gar nichts von mir an.«
»Ich verstehe, ich verstehe alles, Warwara Petrowna«, versicherte Pjotr Stepanowitsch, der bereits sichtlich ungeduldig wurde.
»Oh, das ist ganz mein Charakter! Ich finde mich in Nicolas wieder. Ich kenne diese Jugend, diese Möglichkeit stürmischer, bedrohlicher Impulse … Und wenn wir, Pjotr Stepanowitsch, einmal einander näherkommen sollten, was ich meinerseits von ganzem Herzen wünsche, zumal ich Ihnen bereits sehr verpflichtet bin, dann werden Sie vielleicht auch …«
»O bitte glauben Sie, das ist mein Wunsch, ebenfalls«, murmelte Pjotr Stepanowitsch abgehackt.
»Dann werden Sie auch jenen Impuls verstehen, dem man folgt, wenn man plötzlich, blind von Edelmut, sich einem Menschen zuwendet, der dessen sogar in jeder Beziehung unwürdig ist, der nicht das geringste Verständnis für einen hat und ihn, der bereit ist, einen bei jeder Gelegenheit zu martern, einen solchen Menschen, wider alle Vernunft, plötzlich zum Ideal erhebt, zum eigenen Traum, auf ihn alle Hoffnungen setzt, ihn anbetet, ihn liebt, das ganze Leben lang, ohne im mindesten zu wissen, warum – vielleicht gerade darum, daß er dessen unwürdig ist. O wie habe ich gelitten, Pjotr Stepanowitsch, mein ganzes Leben lang gelitten!«
Stepan Trofimowitsch suchte mit schmerzerfüllter Miene meinen Blick; aber ich war ihm rechtzeitig ausgewichen.
»… Und noch vor kurzem, bis vor kurzem – oh, wie bin ich vor Nicolas schuldig geworden! … Sie werden es nicht glauben, wie sie mich von allen Seiten gequält haben, alle, alle, die Feinde und die Hohlköpfe, aber auch Freunde, und die Freunde vielleicht schlimmer als die Feinde. Und als man mir den ersten verachtungswürdigen anonymen Brief zugeschickt hat, da reichte meine Verachtung, Sie werden es nicht glauben, Pjotr Stepanowitsch, als Erwiderung auf so viel Bosheit nicht aus … Niemals, niemals werde ich mir meinen eigenen Kleinmut verzeihen!«
»Mir ist schon einiges ganz im allgemeinen von den hiesigen anonymen Briefen zu Ohren gekommen«, Pjotr Stepanowitsch belebte sich plötzlich. »Ich werde dem nachgehen, seien Sie unbesorgt.«
»Aber Sie können sich nicht vorstellen, welche Intrigen hier gesponnen werden! Sie haben sogar unsere arme Praskowja Iwanowna gequält – aus welchem Grund eigentlich? Vielleicht bin ich heute vor dir schuldig geworden, meine liebe Praskowja Iwanowna«, fügte sie in einer großzügigen Anwandlung von Milde hinzu, wenn auch nicht ohne eine gewisse triumphierende Ironie.
»Lassen Sie es gut sein, meine Liebe«, murmelte jene widerwillig. »Ich meine, daß alles ein Ende haben muß; es wird viel zuviel geredet …« Und sie warf abermals einen scheuen Blick auf Lisa, aber Lisa sah unverwandt Pjotr Stepanowitsch an.
»Und dieses bedauernswerte, dieses unglückliche Wesen, diese Wahnsinnige, die alles verloren und sich nur das Herz bewahrt hat, dieses Wesen beabsichtige ich jetzt persönlich zu adoptieren«,
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