Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
allgemeine Aufregung, man brachte Wasser. Lisa umarmte ihre maman, küßte sie inbrünstig, schluchzte an ihrer Schulter und brach gleich darauf, nachdem sie sich zurückgebeugt und einen Blick in das Gesicht der Mutter geworfen hatte, erneut in Lachen aus. Schließlich wimmerte auch maman. Warwara Petrowna geleitete beide schnell in ihre Räume, durch jene Tür, durch die vorhin Darja Pawlowna erschienen war. Aber sie blieben nicht lange dort, etwa vier Minuten, höchstens …
Ich bemühe mich jetzt, mir alle Einzelheiten jener letzten Minuten dieses denkwürdigen Vormittags ins Gedächtnis zu rufen. In erinnere mich, wie Nikolaj Wsewolodowitsch, als wir allein geblieben waren, ohne Damen (Darja Pawlowna ausgenommen, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte), auf jeden von uns zuging und ihn begrüßte, jeden, außer Schatow, der immer noch in seiner Ecke saß und sich noch tiefer als vorher nach vorne beugte. Stepan Trofimowitsch knüpfte sogleich mit Nikolaj Wsewolodowitsch ein höchst geistreiches Gespräch an, der aber ließ ihn stehen und ging rasch auf Darja Pawlowna zu. Aber unterwegs wurde er beinahe mit Gewalt von Pjotr Stepanowitsch angehalten, der ihn ans Fenster zog und ihm dort hastig etwas zuzuflüstern begann, wohl etwas sehr Wichtiges, wie aus seinem Gesichtsausdruck und den Gesten, die sein Flüstern begleiteten, zu schließen war. Nikolaj Wsewolodowitsch dagegen hörte ihm völlig passiv und zerstreut zu, mit seinem offiziellen Lächeln, am Ende sogar ungeduldig, und machte wiederholt Anstalten zu gehen. Er entfernte sich vom Fenster genau in dem Augenblick, da unsere Damen zurückkehrten; Warwara Petrowna brachte Lisa zu ihrem alten Platz zurück und redete den beiden zu, sie müßten sich wenigstens zehn Minuten gedulden und sich erholen, zumal die frische Luft den angegriffenen Nerven kaum guttun dürfte. Gar zu sehr war sie um Lisa bemüht und nahm selbst neben ihr Platz. Pjotr Stepanowitsch, alleingelassen, schnellte unverzüglich auf sie zu und begann eine lebhafte und heitere Unterhaltung. Und da, da ging Nikolaj Wsewolodowitsch in seiner gewohnten gelassenen Art endlich auf Darja Pawlowna zu. Als er sich näherte, begann Dascha auf ihrem Platz förmlich zu vibrieren, sichtlich verwirrt und heftig errötend.
»Man darf, glaube ich, gratulieren … Oder noch nicht?« sagte er mit einem eigentümlichen Zug im Gesicht.
Dascha antwortete ihm, aber man konnte sie nicht verstehen.
»Verzeihen Sie die Indiskretion«, sagte er, »aber Sie wissen doch, daß ich eigens unterrichtet worden bin. Wissen Sie das?«
»Ja, ich weiß, daß Sie eigens unterrichtet worden sind.«
»Ich hoffe allerdings, daß ich mit meiner Gratulation nichts angerichtet habe.« Er lachte. »Und wenn Stepan Trofimowitsch …«
»Wozu? Wozu gratulieren?« mischte sich plötzlich Pjotr Stepanowitsch ein. »Wozu darf man gratulieren, Darja Pawlowna? Aha! Doch nicht etwa dazu, daß …? Sie erröten, und das beweist, daß ich es erraten habe. In der Tat, wozu soll man unseren schönen und sittsamen Damen gratulieren, und welche Gratulationen treiben Ihnen die hellste Röte ins Gesicht? Alles recht und schön! Ich schließe mich an, falls ich es erraten habe, und Sie zahlen die Wette: Wissen Sie noch, wie wir in der Schweiz gewettet haben, Sie würden niemals heiraten … Ach ja, apropos Schweiz – wie konnte ich das nur vergessen? Stellen Sie sich vor, das ist ja der halbe Grund meines Kommens, und nun hätte ich es beinahe vergessen: Sag mir«, er wandte sich schnell nach Stepan Trofimowitsch um, »wann willst du in die Schweiz?«
»Ich … in die Schweiz?« Stepan Trofimowitsch war verdutzt und verlegen.
»Wie? Du fährst nicht? Aber du heiratest doch auch … hast du mir nicht geschrieben?«
»Pierre!« rief Stepan Trofimowitsch.
»Was heißt ›Pierre‹? Siehst du, wenn es dich freut, so bin ich hierhergeeilt, um dir zu sagen, daß ich keineswegs dagegen bin, weil es dir unbedingt darauf ankam, meine Meinung sobald wie möglich zu hören; wenn es aber« (rieselten die Glasperlen) »um deine ›Rettung‹ geht, wie du im selben Atemzug schreibst und mich anflehst, im selben Brief, so stehe ich ebenfalls zu Diensten. Ist es wahr, daß er heiratet, Warwara Petrowna?« Er drehte sich flink nach ihr um. »Ich hoffe, daß ich keine Indiskretion begehe; er schreibt ja selbst, daß die ganze Stadt es schon weiß und daß alle ihm gratulieren, so daß er, um allem aus dem Wege zu gehen, das Haus nur noch nachts
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