Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
wandte sich Praskowja Iwanowna zu.
Diese aber sah nicht einmal zu ihm auf, obwohl sie vor einer halben Stunde bei seinem ersten Erscheinen völlig verdutzt gewesen war. Jetzt hatte sie eine neue Sorge: Von jenem Augenblick an, da der Hauptmann beim Herausgehen in der Tür auf Nikolaj Wsewolodowitsch gestoßen war, hatte Lisa plötzlich angefangen zu lachen – erst leise und mit Pausen, dann aber wurde ihr Gelächter immer anhaltender, lauter und auffälliger. Ihr Gesicht begann zu glühen. Der Kontrast zu ihrer finsteren Miene von vorher war außerordentlich. Solange Nikolaj Wsewolodowitsch sich mit Warwara Petrowna unterhielt, machte sie Mawrikij Nikolajewitsch zweimal ein Zeichen, zu ihr zu kommen, als wolle sie ihm etwas zuflüstern; kaum aber hatte dieser sich zu ihr herabgebeugt, als sie in Lachen ausbrach; man hätte fast annehmen können, sie lache über den armen Mawrikij Nikolajewitsch. Sie gab sich übrigens alle Mühe, sich zu beherrschen, und drückte das Taschentuch an die Lippen. Nikolaj Wsewolodowitsch begrüßte sie mit der unschuldigsten und unbefangensten Miene.
»Bitte entschuldigen Sie«, entgegnete sie atemlos, »Sie … Sie haben natürlich Mawrikij Nikolajewitsch schon gesehen … Mein Gott, Sie sind ja unglaublich groß, Mawrikij Nikolajewitsch!«
Und wieder Lachen. Mawrikij Nikolajewitsch war zwar groß, aber keineswegs unglaublich.
»Sind Sie … schon vor längerer Zeit angekommen?« murmelte sie, bemüht, sich zu beherrschen, verlegen sogar, aber mit funkelnden Augen.
»Vor etwas mehr als zwei Stunden«, antwortete Nicolas, indem er sie aufmerksam ansah. Ich möchte anmerken, daß er außerordentlich beherrscht und höflich wirkte, aber, wenn man von der Höflichkeit absah, völlig gleichgültig, sogar schlaff.
»Und wo werden Sie wohnen?«
»Hier.«
Warwara Petrowna hatte Lisa ebenfalls beobachtet, stutzte aber plötzlich über einem bestimmten Gedanken.
»Aber wo warst du bis jetzt, Nicolas? Mehr als zwei Stunden lang?« Sie trat auf ihn zu. »Der Zug läuft um zehn Uhr ein.«
»Ich bin erst mit Pjotr Stepanowitsch bei Kirillow vorbeigefahren, und Pjotr Stepanowitsch traf ich in Matwejewo« (drei Stationen von hier), »wir sind im selben Waggon bis hierher weitergefahren.«
»Ich mußte seit Tagesanbruch in Matwejewo warten«, fiel Pjotr Stepanowitsch ein, »unsere letzten Waggons sind nachts entgleist, wir hätten beinahe die Beine gebrochen.«
»Die Beine gebrochen!« rief Lisa. »Maman, maman, wir beide hatten vor, in der letzten Woche nach Matwejewo zu fahren, da hätten wir auch die Beine brechen können!«
»Herr, erbarme Dich!« Praskowja Iwanowna schlug ein Kreuz.
»Maman! Maman! Liebe ma, Sie brauchen keine Angst zu haben, wenn ich mir einmal wirklich beide Beine brechen sollte; das kann mir durchaus zustoßen, Sie sagen doch selbst, daß ich mir jeden Tag beim Ausreiten den Hals brechen könnte. Mawrikij Nikolajewitsch, werden Sie mich führen, wenn ich einmal hinke?« Sie schüttelte sich wieder vor Lachen. »Sollte es mir zustoßen, dann erlaube ich keinem, mich zu führen, außer Ihnen, darauf können Sie sich verlassen. Gut, nehmen wir an, daß ich mir nur ein Bein breche … Also, seien Sie doch Kavalier und sagen Sie, daß Sie das für ein Glück halten würden.«
»Was ist das für ein Glück mit einem Bein?« fragte Mawrikij Nikolajewitsch ernst mit gerunzelter Stirn.
»Dafür werden Sie mich führen, Sie ganz allein, kein anderer!«
»Auch dann werden Sie mich führen, Lisaweta Nikolajewna«, murmelte Mawrikij Nikolajewitsch noch ernster.
»Mein Gott, er will einen Calembour machen!« rief Lisa beinahe entsetzt. »Mawrikij Nikolajewitsch, diesen Weg dürfen Sie nie wieder betreten! Sie sind aber ein Egoist im höchsten Grade! Ich bin fest überzeugt, zu Ihrer Ehre, daß Sie sich in diesem Augenblick selbst verleugnen; ganz im Gegenteil: Sie werden mir vom Morgen bis zum Abend versichern, daß ich ohne Bein noch interessanter geworden bin! Nur eines ist fatal – Sie sind unmäßig hoch gewachsen, ich aber werde ohne Bein winzig klein sein, wie wollen Sie mir dann Ihren Arm reichen, um mich zu führen, wir werden nicht zusammenpassen!«
Sie brach in krankhaftes Lachen aus. Die Anspielungen und Witze waren platt, aber es ging ihr offensichtlich nicht um einen guten Eindruck.
»Ein hysterischer Anfall«, flüsterte Pjotr Stepanowitsch mir zu, »ein Glas Wasser, so schnell wie möglich.«
Er hatte es erraten; eine Minute später herrschte
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