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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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dir doch denken, daß ich gleich in den ersten Sekunden davon anfangen würde: Wieso hast du mich nicht gewarnt?«
    Stepan Trofimowitsch sah ihn durchdringend an:
    »Pierre, du, der so gut darüber unterrichtet bist, was hier vorgeht, du willst wirklich von dieser Angelegenheit nicht gehört und nichts gewußt haben?«
    »Wi-i-ie? So sind die Menschen! Wir sind also nicht nur kleine Kinder, wir sind noch dazu unartige Kinder! Warwara Petrowna, hören Sie, was er sagt?«
    Es erhob sich ein allgemeines Stimmengewirr; aber da kam es plötzlich zu einem Auftritt, mit dem kein Mensch gerechnet hatte.
    VIII
    ALS erstes möchte ich erwähnen, daß in den letzten zwei, drei Minuten Lisaweta Nikolajewna von irgendeiner neuen Bewegung ergriffen worden war; sie tuschelte hastig mit maman und mit dem sich zu ihr herabbeugenden Mawrikij Nikolajewitsch. Ihr Gesicht war besorgt, drückte aber zugleich Entschlossenheit aus. Schließlich erhob sie sich von ihrem Platz, sie schien es eilig zu haben und auch ihre maman zur Eile zu drängen, der Mawrikij Nikolajewitsch beim Aufstehen aus dem Lehnstuhl behilflich war. Aber es war ihnen offenbar nicht beschieden zu gehen, bevor sie nicht das Ende gesehen hatten.
    Schatow, der, von allen vergessen, in seiner Ecke (unweit von Lisaweta Nikolajewna) saß und anscheinend selbst nicht wußte, warum er sitzengeblieben und nicht weggegangen war, stand plötzlich von seinem Stuhl auf und ging gemächlich, aber festen Schrittes quer durch das ganze Zimmer auf Nikolaj Wsewolodowitsch zu, den Blick unverwandt auf dessen Gesicht gerichtet. Dieser sah ihn aus der Entfernung auf sich zugehen und lächelte ganz, ganz leise; aber als Schatow dicht vor ihm stehenblieb, hörte er auf zu lächeln.
    Als Schatow schweigend vor ihm stand, ohne ihn aus den Augen zu lassen, fiel es plötzlich allen auf, und alle verstummten, als letzter Pjotr Stepanowitsch; Lisa und maman blieben mitten im Zimmer stehen. So vergingen etwa fünf Sekunden; die hochmütige Verwunderung im Gesicht Nikolaj Wsewolodowitschs wich dem Zorn, er runzelte die Brauen, und plötzlich …
    Und plötzlich holte Schatow mit seinem langen, schweren Arm aus und schlug ihm mit aller Kraft auf die Backe. Nikolaj Wsewolodowitsch wankte einmal heftig zur Seite.
    Schatow hatte ja auch auf eine besondere Weise zugeschlagen, ganz anders, als man sonst Ohrfeigen (wenn der Ausdruck erlaubt ist) austeilt, nicht mit der flachen Hand, sondern mit der ganzen Faust, und seine Faust war groß, schwer, knochig, mit rötlichem Flaum und Sommersprossen. Hätte der Schlag die Nase getroffen, so hätte er die Nase zerschmettert. Aber er hatte die Backe getroffen und den linken Lippenrand und die oberen Zähne gestreift, die sofort anfingen zu bluten.
    Ich glaube, wir hörten einen kurzen Schrei, vielleicht hatte Warwara Petrowna aufgeschrien – ich weiß es nicht mehr, denn gleich darauf herrschte wieder Totenstille. Die ganze Szene nahm übrigens nicht länger als zehn Sekunden in Anspruch.
    Ich erinnere den Leser noch einmal daran, daß Nikolaj Wsewolodowitsch zu jenen Naturen gehörte, denen Angst fremd ist. Beim Duell konnte er kaltblütig dem Schuß des Gegners entgegensehen und mit einer geradezu bestialischen Ruhe zielen und töten. Wenn ihn jemand auf die Backe geschlagen hätte, so hätte er den Beleidiger gar nicht erst zum Duell gefordert, sondern ihn sofort getötet, auf der Stelle; er war eben so, und er hätte auch mit vollem Bewußtsein getötet und nicht besinnungslos. Ich glaube sogar, daß er jene blindmachenden Zornanfälle, die jede Überlegung ausschließen, überhaupt nicht kannte. Bei aller grenzenlosen Wut, die sich seiner zuweilen bemächtigte, bewahrte er die Selbstbeherrschung und wußte folglich, daß ihm für einen nicht im Duell begangenen Mord das Zuchthaus sicher war; trotzdem hätte er den Beleidiger getötet, ohne im geringsten zu zögern.
    Ich habe die ganze letzte Zeit Nikolaj Wsewolodowitsch eingehend studiert und verfüge dank besonderer Umstände jetzt, während ich dieses niederschreibe, über sehr viele Fakten. Am ehesten möchte ich ihn mit jenen verflossenen Herrschaften vergleichen, die lediglich in einigen legendären Erinnerungen unserer Gesellschaft weiterleben. Man erzählt zum Beispiel von dem Dekabristen L—n , daß er sein Leben lang mit Bedacht Gefahren aufgesucht, an dem Gefühl der Bedrohung sich berauscht und dieses Gefühl in ein natürliches Bedürfnis verwandelt habe; in seiner Jugend sei ihm jeder Grund

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