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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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verläßt. Ich habe den Brief bei mir. Aber, glauben Sie mir, Warwara Petrowna, ich bin daraus überhaupt nicht schlau geworden! Du mußt mir nur eines sagen, Stepan Trofimowitsch, ob ich dir nun gratulieren oder dich ›retten‹ soll! Sie werden es kaum glauben, auf die allerseligsten Zeilen folgen bei ihm völlig verzweifelte. Als erstes bittet er mich um Verzeihung, so weit, so gut, das gehört zu den Gepflogenheiten von denen … Eins übrigens darf nicht ungesagt bleiben: Man stelle sich vor, der Mann hat mich in seinem ganzen Leben zweimal gesehen, und auch dies nur rein zufällig, aber plötzlich, jetzt, da er die dritte Ehe eingehen will, bildet er sich ein, er verletzt mir gegenüber irgendwelche elterlichen Pflichten, beschwört mich über eine Entfernung von tausend Werst, ich möge es nicht übelnehmen und es billigen! Sei nicht eingeschnappt, Stepan Trofimowitsch, ich bitte dich, das ist der Zug der Zeit, ich bin tolerant und fälle kein Urteil, es mag dir, sagen wir, zur Ehre gereichen und so weiter und so weiter, aber das Wichtigste ist wiederum, daß ich gerade das Wichtigste nicht begreife. Da steht irgend etwas von irgendwelchen ›Sünden in der Schweiz‹. Er heiratet, wie er schreibt, eine Sünde oder wegen fremder Sünden oder etwas Ähnliches, kurz, es geht um ›Sünden‹. ›Das Mädchen‹, sagt er, ›ist eine Perle und ein Diamant.‹ Nun, er selber ist, versteht sich, ›ihrer nicht würdig‹ – das ist eben der Stil von denen; aber aufgrund irgendwelcher Sünden oder Umstände sieht er sich ›gezwungen, vor den Altar zu treten und in die Schweiz zu gehen‹, deshalb ›laß alles liegen und stehen und eile, mich zu retten‹. Können Sie damit etwas anfangen? Jedoch … jedoch lese ich aus Ihren Mienen« (er drehte sich, den Brief in der Hand, im Kreise und forschte mit unschuldigem Lächeln in den Gesichtern der Anwesenden), »daß ich, nach meiner Gewohnheit, wie ich glaube, in ein Fettnäpfchen getreten bin … aus meiner blöden Offenherzigkeit oder, wie Nikolaj Wsewolodowitsch sagt, Eilfertigkeit. Ich dachte doch, wir sind hier unter uns, das heißt ihr unter euch, Stepan Trofimowitsch, ihr unter euch, denn ich bin eigentlich ein Fremder und sehe … und sehe, daß alle etwas wissen, ich aber gerade dieses Etwas nicht weiß.«
    Er sah sich immer noch im Kreise um.
    »Hat Stepan Trofimowitsch Ihnen wörtlich geschrieben, daß er ›fremde Sünden, die in der Schweiz begangen wurden‹, heiratet und daß Sie eilen sollen, ›ihn zu retten‹? Hat er sich so ausgedrückt?« Warwara Petrowna stand plötzlich vor ihm, mit gelbem, entstelltem Gesicht und zuckenden Lippen.
    »Sehen Sie, das heißt, sollte ich hier etwas nicht richtig verstanden haben«, Pjotr Stepanowitsch schien erschrocken und redete noch schneller als zuvor, »so ist das natürlich seine Schuld, weil er so schreibt. Hier ist der Brief. Wissen Sie, Warwara Petrowna, die Briefe sind viel zu lang und viel zuviel, und in den letzten zwei, drei Monaten einfach ein Brief nach dem anderen, ich muß gestehen, daß ich sie schließlich manchmal gar nicht zu Ende gelesen habe. Entschuldige mein albernes Geständnis, Stepan Trofimowitsch, aber gib, bitte schön, zu, daß du sie zwar an mich adressiert, aber eigentlich mehr für die Nachwelt geschrieben hast, so daß es dir egal sein kann, ob … Schon gut, schon gut, sei nicht eingeschnappt; wenigstens wir beide sind doch unter uns! Aber diesen Brief, Warwara Petrowna, diesen Brief habe ich zu Ende gelesen. Diese ›Sünden‹, diese ›fremden Sünden‹, das sind ganz gewiß unsere eigenen kleinen Sünden, möchte ich wetten, von der allerunschuldigsten Art, die uns aber plötzlich auf den Gedanken bringen, eine fürchterliche Geschichte mit einer Nuance von Edelmut zu inszenieren – allein um dieser Nuance von Edelmut willen wurde sie inszeniert. Da hinken, sehen Sie, bei uns irgendwie die Finanzen – das muß endlich einmal ausgesprochen werden. Wir sind, wissen Sie, passionierte Kartenspieler … ach nein, das gehört ja überhaupt nicht zur Sache, pardon, ich bin viel zu geschwätzig, aber ich schwöre, Warwara Petrowna, er hat mir einen Schrecken eingejagt und ich war wirklich zum Teil bereit, ihn zu ›retten‹. Schließlich ist es mir selbst peinlich. Setze ich ihm etwa das Messer an die Kehle? Bin ich vielleicht ein unbarmherziger Gläubiger? Oder? Hier schreibt er etwas von einer Mitgift … Übrigens, wirst du wirklich heiraten, Stepan Trofimowitsch?

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