Boese - Horror
Bäumen zwitscherten die Vögel, und der Himmel war wolkenlos und blau. Ein leichter Wind wehte, der Dougs Gesicht kühlte, als er zum Briefkasten ging.
Der Kasten war offen.
Doug trat vor, um hineinzuspähen.
Er erinnerte sich an das Geräusch des Wagens in der vergangenen Nacht und spürte, wie die vertraute Kälte in seinen Körper zurückkroch. Zögernd griff er in den Kasten und holte die Umschläge heraus. Das Papier war schwarz und fühlte sich merkwürdig an, dick und leicht schleimig, als wäre es aus irgendetwas Organischem hergestellt. Der Inhalt war schwer und besaß eine seltsame Form.
Eine Woge der Abscheu überschwemmte Doug. Er verspürte das plötzliche Verlangen, die drei Umschläge auf den Boden zu werfen und zu zertrampeln. Ohne sich ihren Inhalt anzusehen, wusste er: Was immer die Umschläge enthielten, war böse, schlecht und verderbt.
Er sah sich jeden Umschlag genau an. Auf der Vorderseite standen Trishs, Billys und sein eigener Name, geschrieben in altenglischer Schrift. Keine Adressen.
Doug fragte sich, ob andere Leute in der Stadt auch solche Briefe bekommen hatten. Ob jeder in der Stadt solche Briefe bekommen hatte.
Er starrte auf die Schreiben.
In dem Umschlag, der an ihn adressiert war, wand sich etwas.
Doug ließ die drei Umschläge auf den Boden fallen und sprang schaudernd zurück. Er wollte schon darauf treten, wollte töten und zerquetschen, was immer sich in dem schwarzen Papier befand; dann aber hatte er eine bessere Idee und lief so schnell er konnte über die Einfahrt zum Wagen. Er öffnete die Fahrertür, beugte sich über den Fahrersitz und klappte das Handschuhfach auf. Er kramte unter der Taschenlampe, den Reparaturrechnungen, den Putztüchern und den Landkarten vom Automobilclub herum, bis er fand, was er suchte.
Ein Streichholzheftchen.
Er ging die Auffahrt zurück zu der Stelle, wo die Umschläge lagen. Behutsam hob er die beiden Briefe mit Billys und Trishs Namen auf und legte sie auf seinen. Er zündete ein Streichholz an, schirmte die zaghafte Flamme mit der gewölbten Hand ab und beobachtete, wie sie größer wurde. Dann beugte er sich vor, hielt die Flamme an den Rand des obersten Umschlags.
Doug sah zu, wie die seltsamen, vielfarbigen Flammen, mal blau, mal rot, sich über das dicke, schleimige Papier ausbreiteten. Irgendwie hatte er gehofft, sehen zu können, was darin war, sobald die Flammen den Umschlag verzehrt hatten, doch in letzter Sekunde schaute er weg.
Irgendetwas sagte ihm, dass er es gar nicht wissen wollte.
Die Umschläge verbrannten rasch, hell leuchtend, und als das Feuer seine Arbeit getan hatte, war nur noch ein kleines Häufchen schwelender Asche übrig. Doug stampfte mit dem Fuß in den Haufen, und schwarze Flocken wirbelten über die Straße. Die leichte Brise wehte den Aschenstaub über den Boden und verteilte ihn. Doug beobachtete, wie die Asche in den Graben tanzte und unter die Sträucher schwebte, bis jede Spur verschwunden war.
Eine Zeitlang blieb er stehen und starrte auf die Stelle, an der die Briefe gelegen hatten. Als er zum offenen, leeren Briefkasten schaute, wurde ihm bewusst, dass dies das erste Mal seit Beginn des Sommers war, dass er sich nicht vor diesem Anblick fürchtete.
Er war frei.
Die Stadt war frei.
Der Postbote war verschwunden.
Er atmete tief durch. Das Mittagessen wartete auf ihn. Er roch die Würstchen, die Makkaroni und den Käse. Vom Haus her hörte er die willkommenen Klänge von Billys und Trishs Stimmen und das Lachen aus dem Fernsehen.
Er hatte viel zu tun. Er musste einen Geräteschuppen bauen. Er fühlte sich gut, ja glücklich. Lächelnd schloss er die Klappe des Briefkastens und ging über die Auffahrt zum Haus zurück.
Bentley Little wurde in Arizona geboren, kurz nachdem seine Mutter die Weltpremiere von Psycho besucht hatte. Vor seiner Karriere als Autor schlug er sich mit Gelegenheitsjobs als Reporter, Bibliothekar, Zeitungsbote oder Kassierer durchs Leben.
Mit seinem ersten Roman gewann Bentley Little den begehrten Bram-Stoker-Award und machte damit Stephen King auf sich aufmerksam. Seitdem gilt er als Meisterschüler des »King of Horror« und steht seinem Lehrer in nichts nach: Seine Romane begeistern weltweit Millionen Fans. Bentley Little lebt mit seiner Frau in Arizona und schreibt derzeit an seinem nächsten Roman.
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