Boese Maedchen sterben nicht
Haus, um zuzusehen, wie Barnabas sich in die Luft erhob. Doch dort oben war nichts mehr, außer den beinahe reglosen schwarzen Zweigen zwischen mir und den schweren Wolken. Mit gesenktem Kopf ging ich zur Haustür und betrachtete dabei meine Schnürsenkel. Totenköpfe und Herzchen. Vielleicht sollte ich einfach mal erwachsen werden.
Mein Selbsterhaltungstrieb ließ mich noch einen Moment zögern, bevor ich hineinging. Grace hatte zwar gesagt, dass sie das Problem mit meinem Dad geregelt hatte, aber es kostete mich trotzdem ziemliche Überwindung, nach dem Türknauf zu greifen und ihn zu drehen. Langsam streckte ich die Hand danach aus und spürte plötzlich ein Prickeln in meiner Aura. Ich ballte die Finger zur Faust und hielt einen Moment inne, während ich das Gefühl zu deuten versuchte.
»Das fühlt sich an, als … würde mich jemand beobachten«, sagte ich und wirbelte herum, als mein Amulett warm wurde.
Ich schnappte nach Luft. Ein vertikaler Streifen göttlichen Silbers durchschnitt vor meinen Augen die Nacht. Ein eher kleiner, dürrer Mann schien sich seitwärts hindurchzuzwängen und das Licht umrahmte seine Silhouette mit den kleinen Löckchen am Kopf und wallenden Kleidern.
»Ron«, zischte ich und ließ alle Luft entweichen, die ich soeben eingeatmet hatte.
In unserem nächtlichen Vorgarten stand der weiße Zeitwächter höchstpersönlich. Der Gedanke, nach Barnabas zu rufen, durchzuckte mich und verblasste dann wieder. Immerhin konnte ich neuerdings die Zeit anhalten, da war ich ja wohl nicht auf Barnabas’ Hilfe angewiesen. Außerdem hatte er wahrscheinlich sowieso seine Resonanz abgeschirmt und würde mich gar nicht hören. Ich schob entschlossen die Hüfte raus und blickte Ron entgegen, bis er in voller Größe vor mir stand.
»Was willst du?«, fauchte ich und er hob ruckartig den Kopf, als sei er überrascht, mich zu sehen. Ein winziges Fünkchen Genugtuung an diesem ansonsten ziemlich miesen Abend.
Der kleine Mann nahm blitzschnell wieder seine gewohnt aufgeblasene Haltung ein und schüttelte seine weite Robe aus, die sehr viel besser ans Set eines Hollywoodfilms gepasst hätte als in die Wirklichkeit. Und dieser Typ fand meinen Kleidungsstil merkwürdig? »Herausfinden, was du so treibst«, erwiderte er und legte mehr Gift und Galle in diese paar Worte, als ich es für möglich gehalten hätte. Verdammt, dem konnte man aber auch nichts vormachen.
Ich verschränkte die Arme vor dem Bauch und es war mir egal, ob ich dadurch unsicher wirkte. Ich hatte einen verdammt ätzenden Tag hinter mir, das sah man mir nun mal an. »Im Moment versuche ich, keinen Hausarrest aufgebrummt zu kriegen«, erwiderte ich unschuldig. »Vielleicht solltest du lieber abhauen, bevor ich um Hilfe rufe und du wegen Belästigung Minderjähriger in den Knast wanderst.«
Ron lächelte nur weiter sein fieses Lächeln. »Du hast also gelernt, die Zeit anzuhalten. Glückwunsch.«
Interessant, wie das so gar nicht nach einem Glückwunsch klang, wenn er es sagte. Ich sah zur Verandalampe auf und wünschte, Grace wäre hier und würde ihm einen Ast auf den Kopf fallen lassen. »Ja, allerdings. Und?«
Ron trat einen Schritt näher und legte den Kopf schief. Seine Arroganz schien plötzlich wie weggeblasen. »Ich hatte einen weißen Todesengel losgeschickt.«
»Ist mir nicht entgangen.« Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen. Das alles gefiel mir gar nicht.
»Und da hab ich mich gefragt, was du wohl vorhast …«, brabbelte er, als erwartete er ernsthaft, dass ich ihm eine Antwort darauf gab.
»Blablabla«, stöhnte ich und machte dazu Schnatterbewegungen mit der Hand. »Deine Monologe kannst du dir sparen, Ron. Ich habe gar nichts vor.« Ich drehte mich wieder zur Haustür um und keuchte auf, als Ron mich plötzlich beim Arm packte. Ich fuhr zu ihm herum und riss mich los, schockiert, dass er es gewagt hatte, mich anzufassen.
»Pfoten weg!«, zischte ich gedämpft und ging die zwei Stufen vor der Haustür wieder hinunter. Ich wollte meinem Dad nicht auch noch erklären müssen, wer dieser Mann in unserem Vorgarten war. Mein Herz machte einen Satz und blieb wieder stehen.
»Du hast die Resonanz der Zielperson geändert«, sagte Ron merklich wütend, als er wieder zu mir aufsah. »Mein Engel findet sie nicht mehr.«
Wäääh, wäääh!, dachte ich bei mir. Madison hat gemogelt! Laut sagte ich bloß: »Gut.«
»Wenn du so weitermachst, wird sie sterben!«, rief Ron.
Meine Augen wurden schmal. »Schon
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