Böse Schafe: Roman (German Edition)
ich wirklich stolz war. Na gut, den werde ich schon noch überzeugen, dachte ich, als ich zu Ende brachte, was du mir immerhin erlaubt hattest – und irrte mich ein weiteres Mal.
Für dich war Sex, wie ich bald merkte, die selbstverständlichste Sache der Welt, doch nicht die wichtigste. Auch ich, du weißt es, mochte Sex, allerdings nur, wenn ich nicht oder nicht sehr verliebt war. Was mir, wie möglicherweise den meisten Menschen, daran am besten oder eigentlich ausschließlich gefiel, waren die Orgasmen, Explosionen von solcher Wucht, daß mir die Sicherungen rausflogen und mein Denksystem für Momente weg war vom Netz. Diesen Momenten verdanke ich die tiefsten Räusche meines Lebens; eine so umfassende Abwesenheit von mir selber, jedem und allem hat das gründlichste Besäufnis nicht bewirken können. Die Krater verschlangen mich, spuckten mich aber auch wieder aus, unversehrt, wie ich meinte, und an deren Rändern konzentrierte ich mich auf die Regie. Interessanter, als selbst berührt zu werden, fand ich es, den anderen zu manipulieren. Nichts sonst verschaffte mir dieses Gefühl von Macht und Bedeutung. Ja, Harry, ich hatte den Ehrgeiz, eine gute Liebhaberin zu sein, schon damit meine physischen Defizite weniger ins Gewicht fielen. Vor wie nach dir machte ich die Erfahrung, daß manche Frau und jeder der nicht beängstigend zahlreichen Männer, die meineNähe suchten, mit mir ins Bett wollte. Einige aus sportlichem Ehrgeiz, andere als Sammlerinnen oder Sammler; ich hätte auch nicht gewußt, was sie sonst von mir hätten wollen sollen. Gerade die Männer haben meist auf Anhieb erkannt, daß mir der Sex reichen und so etwas Kompliziertes wie Liebe mich dabei nur stören würde. Wenn ich doch einmal verliebt war, litt ich unter diversen Komplexen, fühlte mich häßlich, doof, krank. Und gegen die Krankheit Liebe, die ich auf den Tod fürchtete, gab es nur eine Medizin: Sex – mit einem sympathischen, dem angebeteten Subjekt aber möglichst wenig ähnlichen Menschen. Und dennoch, Harry, sobald ich spürte, daß ich mal wieder von Liebe befallen war, wünschte ich mir jenes Alter, in dem ich, wie ich tatsächlich glaubte, kein Gegenmittel und keine nebenwirksame Machtgeilheit mehr brauchen würde, weil meine Sexualität – sowohl für die anderen als auch für mich – endlich völlig belanglos geworden wäre.
»Das mit der eigenen Bude ist bis auf weiteres vertagt. Die Parole heißt: Draußen bleiben um jeden Preis. Ich kann mir alles vorstellen, ›never more rainbow‹, Maloche im Bergbau, ab morgen ohne Hände sein oder übermor gen ganz hinüber, nur nicht, daß sie mich wieder einkas sieren für die volle Laufzeit. Wenn ich die Zeichen richtig deute und es mir am Montag auch noch gelingt, eine Maß nahme einzuleiten, ist die Gefahr erst mal gebannt, das Leben also fast schön.«
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VII
Am Montag morgen lagen auf der Matratze, die du zu deiner erkoren hattest, nur mein Bademantel, Kopfkissen und Deckbett, aber im Küchenregal neben dem Herd drei frische Schrippen, mein Geldhäufchen, von dem ein Zehner fehlte, und ein Zettel: »Dear Soja, muß schnell mal was klären. Bin bald zurück, die Kohle auch. So long, Harry.«
Daran, daß du wiederkämst, hatte ich seltsamerweise nicht den geringsten Zweifel, ärgerte mich bloß über deine Eigenmächtigkeit. Du hättest mir ja etwas ins Ohr flüstern oder wenigstens einen Kuß geben können. Doch nach der ersten Marmeladenschrippe sah ich es so, daß du mich aus purer Sanftmut nicht hattest wecken wollen. Ich schwebte ob der mit dir verbrachten Stunden nicht auf Wolken, war nicht einmal froh, bestenfalls erstaunt darüber, wie schnell das alles ging und daß ich nicht mehr allein war. Ich sah dich vor mir, einen ausgewachsenen Westberliner: große, athletische Gestalt, breite Stirn von auffallender, aber nicht vornehmer Blässe, gekerbtes Kinn, blaugraue Augen, die wunderbar finster blicken konnten, und gratulierte mir mit einem Gläschen Williamsbirne zu meiner Errungenschaft, denn für eine solche, Harry, hielt ich dich an jenem Morgen noch. Daß du im Gefängnis gewesen warst – und ziemlich lange –, verlieh dir nur zusätzlichen Adel. Da, wo ich herkam, fing man sich leicht zehn Jahre ein, für Bagatellen wie Witze, Scheckbetrug, Diebstahl von Volkseigentum. Als ich an das zuletzt genannte Delikt dachte, entsann ich mich desWortbrockens »schwerer Raub«, den du mir so beiläufig hingeworfen hattest, und beschloß, dich unverblümt zu fragen,
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