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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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dann, am Freitag nachmittag der zweiten Oktoberwoche, riefst du an, sagtest putzmunter, du seist »mit einem alten Freund in Hamburg, die große Freiheit schnuppern«. Als ich dir Vorwürfe machte, wissen wollte, wann wir uns wiedersehen, meintest du, dein »Klimpergeld« sei gleich alle, du würdest jetzt »Schluß machen«. Die Worte Klimpergeld und Schluß machen hallten in meinen Ohren lange nach; ich hätte platzen mögen vor hilfloser Wut.
    Eben habe ich mir deinen Führerschein noch einmal angeschaut, mich daran erinnert, wie ich ihn, drei Jahre nachdem er, zusammen mit deinem Heft, deinem Reisepaß und noch ein paar Sachen, in meine Obhut gefallen war, einem Expolizisten zeigte, der einen Stock unter mir wohnte, doch längst woandershin gezogen und womöglich auch schon gestorben ist. Ich sagte dem alten Knacker,er hieß Karl Klawitter, daß dieses Dokument einem Freund gehöre und daß ich nicht genau wüßte, ob damit alles in Ordnung sei. Der Hauptwachtmeister a. D. stand ein wenig verwundert in seiner Tür, vermutete vielleicht, ich sei mal wieder betrunken und wolle ihn bloß auf den Arm nehmen, fühlte sich dann aber wohl geschmeichelt; er drückte sich die Brille gegen die Nasenwurzel und betrachtete das Dokument mit der gebotenen Sorgfalt. Lächelnd, die Rechte an einen imaginären Mützenschirm hebend, als habe er soeben eine Verkehrskontrolle durchgeführt und nichts zu beanstanden, händigte er mir deinen Führerschein schließlich wieder aus und sprach dabei die Worte: »Kein Zweifel, der ist echt. So echt wie Sie oder ich.«
    Eigentlich schade, Harry, daß ich mit deinem »grauen Lappen« nie etwas anfangen konnte; zumal es mir ja nicht vergönnt war, selber einen zu machen.

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XVI
    Dann kam der Tag, an dem sich nochmals vieles änderte, aber nichts besser wurde – und auch nicht so, wie meine hysterische Phantasie es mir ausgemalt hatte. Was wirklich geschah, war banaler und … entsetzlicher, schrecklicher, fürchterlicher? Ich weiß kein Wort dafür; alle, die ich kenne, sind stumpf und blind, abgenutzte Suppenlöffel.
    Weihnachten und Silvester, Anlässe, die weder dir noch mir viel bedeuteten, waren vergangen; wir schrieben das Jahr 1988. Du ließest dich wieder öfter bei mir blicken; sicher nicht aus neu erwachter Liebe, sondern einfach, weil deine Parterrehöhle eiskalt und nun selbst dir zu dunkel war.
    Doch an jenem Freitag Mitte Januar wartete ich, obwohl wir verabredet gewesen waren, vergeblich auf dich. Es schneite, hatte schon gestern sehr viel geschneit und ich, bis es mir endlich mal gelungen war, dich zu erreichen, fleißig bei dir angerufen. Deine von Hustenanfällen unterbrochene Stimme hatte heiser geklungen, als du sagtest, das Getriebe deines Autos sei hin, deine Wasserleitung eingefroren, deine Laune im Keller. Komm doch, Harry, ich mach dir auch Brühnudeln, hatte ich dich gelockt, und spöttisch hinzugefügt: Oder willst du lieber ne Wärmflasche? »Geht leider nicht. Aber morgen gegen acht bin ich bei dir, Baby«, hattest du geantwortet und noch mal gehustet und dann aufgelegt.
    Es war Freitag und acht Uhr längst vorüber; die Brühnudeln standen seit Stunden neben dem Herd, sogen sich voll mit der selbstgemachten Rindsbouillon, wurden immer weicher, breiter, blasser, quollen unaufhaltsam dem Rand meines größten Suppentopfes entgegen. Ich ließ dein Telefon klingeln, um neun, um zehn, um elf, um zwölf; du hobst nicht ab. Ich war eine Weile wütend und fragte mich, als die Wut der Angst wich und ich mir allerlei vorstellte, Unfall, Festnahme, Flucht, Überdosis, ob du deine Bude vielleicht doch schon verlassen hattest und irgendwo, irgendwie unterwegs warst, womöglich mit deinem kaputten Auto, auf glatten Straßen, durch den seit dem Morgen pausenlos fallenden Schnee. Oder mit der U-Bahn? Dann müßtest du in der nächsten halben Stunde eintreffen, und ich konnte meinen Mantel nehmen, dich abfangen auf dem halben Kilometer bis zum Bahnhof. Doch was, wenn du anriefst, während ich die Turmstraße entlanglief? Ich schrieb zwei Zettel, klebte einen an die Wohnungs- und einen an die Haustür und machte mich auf die Socken. Die letzte U9 aus deiner Richtung, die einzige, in der du noch sitzen konntest, kam halb eins. Ich blickte jedem, der mir begegnete, ins Gesicht; das heißt, ich versuchte es, aber der Flockenwirbel war so dicht, daß ich am liebsten laut gefragt hätte: Und du? Bist du etwa Harry? Durchgefroren und mit tränenden Augen erreichte ich den

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