Böse Schafe: Roman (German Edition)
mir eine sterile grüne Haube überstülpte und einen ebensolchen Kittel anzog. Derart entstellt betrat ich deine Zelle, denn nichts anderes war der schmale Raum, durch dessen kleines, hohes Kippfenster immerhin etwas Tageslicht auf dich hinabfiel und das mir, wenn ich dein Bett bestiegen und mich so lang wie möglich gemacht hätte, den Blick über die kahlen Wipfel der Essigbäume im Hof gewährt hätte.
Du warst wieder blaß wie immer, vielleicht auch ein wenig gelb. Halb lagst, halb saßest du; dein Rücken lehnte am angewinkelten, von der Matratze und dem Laken nicht zu dick abgepolsterten Lattenrost. Unter deinem rechten Schlüsselbein war mit Heftpflaster eine starke Kanüle befestigt, durch die eine Infusion in dich hineinlief, die du, nachdem du mich mit den Worten »na, mein kleines grünes Ungeheuer« begrüßt hattest, als deine »Nähr-, Heil- und Trostlösung« bezeichnetest, weil da auch etwas drin sei, das dich am »Ausrasten« hindere; ich wußte nicht, ob du wußtest, wie gut ich wußte, was du damit andeuten wolltest. Ich hatte dir eine Flasche Kirschsaft, drei deiner Fantasyschinken und von den beiden Frotteesets der Klingsbrüder dashellblaue mitgebracht. »Und, Baby«, sagtest du, »wo sind die Blümchen? Oder warst du am Wochenende nicht bei Franz?«
Ich hätte nicht genau begründen können, warum, aber du kamst mir verändert vor, so, als verstündest du nicht ganz, was geschehen war. Dein aufgekratzt-kindisches Gehabe befremdete mich; ich saß mit gesenktem Kopf an deinem Bett, schwieg und sah dich erst wieder an, als ich spürte, daß du mich ansahst. Deine Pupillen waren schwarz und tief wie Löcher; dein Blick lockte nicht, hatte dennoch etwas Anziehendes, ja, Magnetisches. Es war, wie soll ich es beschreiben, als schaute ich nicht in deine Augen, sondern in saugende Trichter. »Soja, du bist wie die meisten«, sagtest du, »starke Männer machen dich schwach, aber schwache, die machen dich stark. Und stark sein willst du doch, oder?«
In dem Moment öffnete sich knarrend die Tür; eine Schwester trat zwischen uns, rief »Entschuldigung«, stellte ein Tablett mit einem Schälchen Brei, zwei Zwiebackscheiben und einem Pott Tee auf deinem Nachtschränkchen ab. »Dann wollen wir mal schnell«, sagte sie, streifte sich ein Paar sehr dünner, hautfarbener Gummihandschuhe über, derart routiniert, daß mir unwillkürlich die Wörter Kondom und Hure in den Sinn kamen, lüpfte deine Bettdecke, meinte »bleiben Sie mal bitte so«, nahm aus einer Porzellanschale, die eine andere, plötzlich hinter ihr stehende Schwester in Händen hielt, eine fertig aufgezogene Spritze und drückte deren Inhalt in den rechten oberen Quadranten deiner linken Pobacke. Während sie mit einem Mullquadrat über die Einstichstelle rieb, zwinkerte sie mir schelmisch zu und sagte: »Das istdas Schöne an Leuten wie Ihrem Harry, die freuen sich wenigstens, wenn’s piekt.«
Die freche Schwester ermahnte mich noch, »ja nicht zu lange zu bleiben«, und wünschte uns einen guten Abend. Du sagtest »jetzt geben sie ne Weile Ruhe«, strecktest mir die Arme entgegen und strahltest mich an, als wärst du nicht eben noch ganz ernst gewesen, als wären die Worte, die du wenige Minuten zuvor gesprochen hattest und die ich, wie ich dir soeben bewies, bis heute behalten habe, nie gefallen. »Komm doch her«, batest du, wieder mit dieser kleinen, fast kindlichen Stimme, »leg dich zu mir, bis ich eingeschlafen bin, nur kurz. Dein Haary ist schon ganz müde.«
Ich zögerte, spürte zum ersten Mal, seit ich dich kannte, einen Anflug von Ekel. Ich schob es auf den Geruch, den du verströmtest – oder die bläuliche Flüssigkeit, die unaufhörlich in dich einsickerte, dich mit der nabelschnurartigen Plastikpipeline verband und mit diesem weichen, leise gluckernden, an einem galgenähnlichen Gestell hängenden Beutel, der schon – oder noch? – ein Teil deines Organismus zu sein schien. Aber ich überwand mich und kam zu dir. Du trugst eins dieser blöden, hinten offenen Hemdchen; ich schob meine Hand drunter, fühlte deinen festen, warmen, gleichmäßig atmenden Bauch und war augenblicklich so beruhigt, daß ich beinahe auch eingeschlafen wäre.
Wie ich vor meinem nächsten Besuch vom behandelnden Arzt erfuhr, hattest du eine atypische Lungenentzündung, genauer eine Pneumocystis carinii Pneumonie, und eine Pilzinfektion, die er Mykobakteriosenannte; die Zahl deiner T-Helferzellen lag bei knapp 600 pro Mikroliter Blut, und deine
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