Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
Vom Netzwerk:
intravenös injiziert, und nicht nur, weil ich mal Hilfsschwester war und sowieso eine Affinität zu Doktorspielen hatte.
    »Nichts mehr da. Eggi liefert erst morgen. Und bloß keinen Arzt, bitte, Baby.« Deine Antwort kam dumpf und stoßweise, dein Atem klang, als würde ein Sparschwein geschüttelt.
    Irgendwann schliefst du, dich von einer Seite zur anderen werfend, dann wieder ruhiger, bis auf das Rasseln in deiner Brust. Ich schlief wohl auch ein wenig, wurde aber wach, weil du im Fieber phantasiertest. »Ich bin der Bär András von Újpesti Dózsa«, hauchtest du inbrünstig. Ich hätte beinahe gelacht, weil diese Worte, die du mehrmals wiederholtest, überhaupt und erst recht aus deinem Munde so komisch klangen und ich damals noch nicht wußte, daß Újpesti Dózsa ein ungarischer Fußballclub der fünfziger und sechziger Jahre gewesen war; und niehabe ich ermitteln können, ob es bei denen jemals einen András gegeben hatte. Doch daß du zu jener Morgenstunde keinem Wesen weniger glichst als einem Bären, das sah ich.
    Ein wenig später verlorst du das Bewußtsein; was immer ich versuchte, du warst nicht mehr ansprechbar, nur heiß, womöglich noch heißer als zuvor. Da ich ernsthaft – und, wie sich herausstellte, zu Recht – um dein Leben fürchtete, wählte ich die Nummer des Notrufs.
    Bis ich dem Bereitschaftsarzt, einem jungen Afrikaner oder Afroamerikaner, endlich die Tür öffnen durfte, verging keine Stunde. Er sah mir erstaunlich teilnahmsvoll ins verheulte Gesicht, sagte »Sie brauchen aber auch was zur Beruhigung«, ignorierte den Stuhl, den ich an dein Lager gerückt hatte, und hockte sich neben dich. Er schaute zu mir hoch, denn auf dem von ihm verschmähten Stuhl saß nun ich. »Das ist eine akute Lungenentzündung«, meinte er und entnahm seinem Koffer ein Stethoskop. Er bat mich, ihm behilflich zu sein, und gemeinsam entkleideten wir deinen willenlosen Körper so gut es ging. Er horchte dich ab, blickte, als er damit fertig war, wieder kurz zu mir, fragte: »Junkie?«
    Ich nickte, sagte dann mit fester Stimme, als sei ich nur hier, um diesem Arzt zu assistieren: Ja, opiatabhängig seit vielen Jahren, außerdem Hepatitis B und C und HIV-positiv.
    Im Blick des Arztes glomm ein Fünkchen Begeisterung. »Oh, die Kombination hatten wir noch nicht oft. Ihnen ist klar, daß er sofort in die Klinik muß? Geben Sie mir bitte seinen Paß und seine Versicherungskarte und packen Sie das Wichtigste zusammen.«
    Das Wichtigste, fragte ich, für einen Junkie?
    Der Arzt schaute mich ein wenig irritiert an, dann verstand er, sagte: »Ach, das meinen Sie. Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, Ihr Freund kommt zu uns ins Urban-Krankenhaus. Aber einen Kulturbeutel wird er trotzdem brauchen.« Das Wort Kulturbeutel brachte er nicht ganz so flüssig über die Lippen; er merkte es und lachte ein bißchen. Ich lachte auch, doch wohl mehr aus Erleichterung, denn dieser Arzt würde dafür sorgen, daß es dir bald wieder besserging. Ich legte etwas Unterwäsche, Rasierzeug, Zahnbürste und – creme sowie deine Papiere in deine Sporttasche und äußerte den Wunsch mitzufahren. Das, sagte der junge Arzt mit einem bedauernden Augenaufschlag, sei nur nahen Angehörigen erlaubt. »Und ihr seid doch nicht verheiratet. Oder? Kopf hoch, Sie können ihn sicher bald besuchen. Hier ist eine Tablette für Sie. Und dies ist meine Karte.« Er reichte mir beides und zuletzt sogar seine Hand.
    Dann luden dich die Fahrer des Rettungswagens auf eine Rollbahre, bedeckten dich mit einem Laken und einer auf einer Seite wollenen, auf der anderen glänzenden Folie. Ich nahm deine Schlüssel, begleitete eure Prozession bis an die Tür des weiß-roten Kleinbusses, der gleich hinter deinem R12 stand, küßte deine glühenden, rissigen Lippen, sah, wie sich hinter dir die Ladeklappen schlossen, ihr mit Blaulicht die Emser Straße hinabbraustet und nach links in die Hermannstraße einbogt, stand allein in der Dunkelheit, bis das Martinshorn nicht mehr zu hören war.
    Es schneite, es war fünf Uhr früh – und ich so erledigt, daß ich nicht nach Hause fuhr, sondern in deineBude zurückging und wie tot auf deine Matratze sank. An diesem Morgen, Harry, begann der Abschied von dir.
    Eine ganze Woche wurdest du auf der Intensivstation behandelt; erst am folgenden Montag durfte ich zu dir. Du lagst in einem Einzelzimmer der Abteilung für Infektionskrankheiten. Die Oberschwester, bei der sich jeder Stationsfremde melden mußte, verlangte, daß ich

Weitere Kostenlose Bücher