Böse Schafe: Roman (German Edition)
sagtest, daß du mit ihr noch beim Tierarzt gewesen wärst, daß sie so etwas Ähnliches wie die Staupe gehabt und Antibiotika bekommen hätte. Sie sei in deinen Händen gestorben, »ohne jede Angst, friedlich, wie eine echte El-Friede«.
Vom Rest der Kohle, es waren immerhin noch etwa siebentausend Mark, kaufte ich mich im Jahr zwei nach dir in einen Blumenkiosk ein. Johanna, eine gelernte Floristin, auf deren Annonce ich geantwortet hatte, und ich, wir teilten uns die Arbeit in dem kleinen Laden am Ku’dammEcke Uhlandstraße, zwei Tage Johanna, drei Tage ich. Sie fuhr zum Großmarkt, ich machte die Buchführung – und 96 waren wir pleite; Freundschaft zu Ende, Knete weg, Konkurs am Hals, Schulden, Sozialhilfe … Egal, damit will ich dich nicht weiter behelligen.
Dann kam jener Sonntag Ende September, an dem ein alter R12 auf Franzens Stand zurollte. Ich sprang erschrocken zur Seite, denn im ersten Moment sah es so aus, als wolle irgendein Besoffener im Übermut unser ganzes Blüh- und Grünzeug breitfahren. Aber knapp vor den Blumeneimern stoppte das Auto, die Tür ging auf, ein lachender Mann hielt seinen Kopf ins Freie und nahm sich die Sonnenbrille ab; dieser Mann warst du.
»Na, Soja, nun bist du baff«, riefst du und eiltest mir entgegen und hieltest mir ein Dokument unter die Nase. Ich beäugte das beidseitig bedruckte, in der Mitte gefalzte grüngraue Wachspapierrechteck gründlich von vorn und hinten – und ja, mit deinem vorschriftsmäßig seitlich geriffelten und gelochten Paßfoto, den blauen Stempeln und den zwei originalen Unterschriften sah es aus wie ein richtiger, angeblich am achten April 1983 ausgestellter »Pol 2935-Führerschein-Bundesdruckerei Bln 1. 82« der Klasse drei.
Harry, sagte ich, wie ist es möglich? Zu der Zeit warst du doch in Tegel. Seit wann dürfen einschlägig wegen diverser Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz Verurteilte die Pappe machen? Was soll das nun wieder? Und woher kommt der alte Renault ?
»Vertrau mir«, meintest du, »fahren kann ich. Und der Lappen sieht doch super aus, oder? Mit dem nimmt michkein Bulle hoch. Die Karre hat mir Tarik überlassen, spottbillig. Ist auch nur fürs erste, bis ich was Besseres finde.«
Ich hatte noch nicht Feierabend, deshalb gingst du wieder, »eine Kleinigkeit erledigen«. Eine Stunde später warst du zurück und chauffiertest mich nach Hause, auf Umwegen, damit ich mich, wie du sagtest, davon überzeugen konnte, daß du »am Steuer richtig gut« seist. Dein Arm ruhte lässig im Rahmen des heruntergekurbelten Fensters, die warme Abendluft zauste meine Locken, das Autoradio lief, auf der Kantstraße waren die Lichter angegangen; ich wollte das alles schön finden, schaffte es aber nicht. Ich weinte leise, und dazu tönte aus dem Radio, als hätte ich es bestellt, ein Liedchen, das ich nur dieses eine Mal gehört und trotzdem nicht vergessen habe. »Auto kaput/in einer Minut.//Rast auf mich zu/saublöde Kuh./Kam Polizei/alles vorbei./Führerscheinpapier/gehört nich mehr mir.//Auto kaput/in einer Minut …«, sang ein Türke in diesem putzigen Deutsch und mit monoton melancholischer Stimme.
Ich fragte dich, ob Elmar Kling hinter der Pappe stecke. Du gabst bloß zur Antwort, ich solle »die Flennerei lassen« und mir keine »unnützen Sorgen machen«. Die Vorstellung, daß du nun mobil warst, daß es noch schwerer würde, dich zu kontrollieren, quälte mich. Dein Lappen, so überzeugend er aussah, konnte nur gefälscht sein, und was du gerade tatest, war ganz sicher kriminell. Ich schloß die Augen und sah dich mit Dope vollgepumpt im Karatedress, neben dir dieser Tarik, auf den Rücksitzen die Klingsbrüder, durch eine mir unbekannte, regennasse, nächtliche Stadt brausen; Martinshörner jaulten, Schüsse knallten … Harry, sagte ich kleinlaut, könnten wir nicht noch irgendwo einen Schluck nehmen?
Wir landeten in einem Lokal namens Weltlaterne. Du bestelltest nur Limonade, weil du mich ja, wie du sagtest, »heil abliefern, dann aber weiter« müßtest. Ich kapierte, daß ich die Nacht ohne dich verbringen würde, und betrank mich aufs gründlichste.
Einige Tage später verschwandest du tatsächlich, für volle vierzehn Tage. Ich war besorgt, doch nicht erstaunt, denn ich hatte mit so etwas gerechnet. Oder hattest du gar davon gesprochen an dem Abend in der Welt laterne ? Ich ließ mehrmals täglich dein Telefon klingeln und fragte mich, was ich tun, wo ich dich suchen sollte, wenn du nicht bald zurückkämst. Aber
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