Böse Schafe: Roman (German Edition)
U-Bahnhof Turmstraße, sprang die Stufen hinunter, stellte mich ans Gleis, sah den letzten Zug einfahren, Menschen aussteigen; du warst nicht dabei. Ich rannte die Treppen wieder hoch, winkte einem Taxi, ließ es zu meinem Haus fahren und warten, stürzte auf den Hof, schaute nach, ob das Flur licht brannte, ging, da alles finster war, zurück an die Haustür, ergänzte die dort klebende Notiz um den Satz: Bin unterwegs zu dir!, kroch in das mollig warme Taxi, nannte dem Fahrer deine Adresse. Wir fuhren langsam und entsprechend lange, kamen an zwei verbeulten, von Polizisten und Sanitätern umringten Autos vorbei, redeten kaum ein Wort miteinander, denn ich durfte nicht rauchen.
Weil das Tor zu deinem Hinterhof ja niemals verschlossen war, versuchte ich gar nicht erst, an deiner Wohnungstür zu läuten, sondern lief gleich vor deine beiden Fenster, durch die kein Lichtschimmer fiel und die ich in jener Nacht sicher eingeschlagen hätte, wenn du nicht doch noch auf mein Klopfen und Rufen reagiert und deine Handflächen gegen die Scheibe gelegt und kurz dein, wie ich hoffte, nur von der Dunkelheit geisterhaft entstelltes Gesicht gezeigt und mir schließlich geöffnet hättest, nicht deine Wohnungstür, sondern eins deiner Fenster. Ich ging davon aus, daß du mir hineinhelfen würdest; aber als nichts dergleichen geschah, ich dich nicht einmal mehr sah, erklomm ich den Sims, blieb mit dem Mantel hängen, riß mich los, plumpste auf deinen Küchenfußboden, rappelte mich hoch, machte Licht, trat mit verhaltenem Atem ins Zimmer und an deine Matratze. Da lagst du, unter drei Decken, vollständig eingemummelt. Ich sank neben dir in die Knie, rief deinen Namen, zerrte die Decken etwas zurück, erblickte dein glühendes, verquollenes Gesicht und, da du mich einen Moment wie von weit her anstarrtest, deine glasigen, stark geröteten Augen. Ich legte dir meine Linke auf die Stirn. Du stöhntest, wohl weil meine Hand so kalt war; kaum zu sagen, ob du erschrakst oder Linde rung empfandest. Ich tastete nach deiner Halsschlagader; deine Lider zuckten, dein dick verpackter Körper erschauerte. Du hattest hohes Fieber und mehrere T-Shirts und mindestens drei bis auf den obersten durchnäßte Pullover an. Mensch, Harry, sagte ich, was ist denn? Deine einzige Antwort war Zähneklappern, gefolgt von Stöhnen, trockenem Husten, dem glücklosen Versuch, dir die Decken wieder über den Kopf zu ziehen. Ich ging zurück in die Küche, schloß das Fenster, schaute mich um. Womöglich hattest du, als du noch einigermaßen bei Kräften gewesen warst, aus der Apotheke ein paar harmlose Medikamente besorgt, Aspirin, Hustensaft, vielleicht sogar ein Fieberthermometer. Ich entdeckte nichts Derartiges, griff mir das linnene, leidlich saubere Geschirrtuch, das ich in zwei Teile reißen, mit kaltem Wasser tränken und um deine Waden wickeln wollte; da fiel mein Blick auf den Bretterstapel, auf die beiden dort noch immer an der Wand lehnenden Geschenksets. Vor dem einen stand eine Dose Citrat , vor dem anderen ein Kerzenstummel, neben dem ein auseinandergefaltetes, leeres Stück Butterbrotpapier lag und vor diesem wiederum ein verbogener Löffel, in dem eine Schicht bräunlich verfärbter Watte klebte. Diesen denkwürdigen Augenblick, in dem deine Utensilien, die du offenbar nicht mehr hattest wegräumen können, meine letzten mühsam gehätschelten Zweifel restlos beseitigten, erlebte ich fast als Befreiung: Ich war eingeweiht, mit einem Bein dabei.
Hinter der Klotür hing noch ein Handtuch, das ich auch befeuchtete und zusammenrollte, um es auf deine Stirn zu legen, denn die Geschenksets mochte ich ohne deine Erlaubnis nicht plündern. Ich kam mit den dreiLappen und einem Eimer voll Wasser wieder ins Zimmer und versuchte, deine Waden zu entblößen. Doch du zappeltest, stöhntest, zogst die Füße bis zum Hintern hoch. Die nasse Frotteewurst wolltest du schon gar nicht ertragen. »Laß den Scheiß«, stöhntest du, »mir ist kalt genug. Komm lieber her und wanz dich an.«
Also streifte ich meinen Mantel ab, kroch zu dir unter die Decken, wo es wie in der Sauna war. Ich staunte, daß einem Menschen so viel Flüssigkeit entweichen kann, und flüsterte: Du bist krank, wir sollten einen Arzt rufen. Aber vielleicht brauchst du vorher noch was? Wahrhaftig, Harry, wenn du mich gefragt hättest, ob ich es mache, ich hätte in diesem einen Moment, später sicher nicht mehr, nach deiner Anleitung den Stoff gekocht, die Spritze aufgezogen und dir das Zeug
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