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Böser kleiner Junge (German Edition)

Böser kleiner Junge (German Edition)

Titel: Böser kleiner Junge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Beobachtungsraum.
    »Hallo, Mr. Bradley. Freut mich, dass Sie gekommen sind. Hören Sie gut zu, okay? An Ihrer Stelle würde ich mich in Acht nehmen. Sie sind der Einzige, der die ganze Geschichte kennt. Vielleicht hätte ich sie Ihnen nicht erzählen dürfen, aber irgend wem musste ich ja mein Herz ausschütten. Die ganze Last war zu schwer, sie allein zu tragen. Vergessen Sie nicht – es hat die Gestalt eines kleinen Jungen .«
    »Ist das alles?«, fragte der Gefängnisdirektor fast schon fröhlich.
    Hallas sah ihn an. »Ach, eins noch – woher in Gottes Namen haben Sie dieses Hemd?«
    Gefängnisdirektor Toomey blinzelte so verdutzt, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige verpasst. Dann wandte er sich dem Arzt zu. »Sind Sie so weit?«
    Der Weißkittel neben dem Bedienpult nickte. Der Gefängnisdirektor ratterte eine juristische Litanei herunter, sah auf die Uhr und runzelte die Stirn. Es war 12.01 Uhr. Sie waren eine Minute zu spät dran. Er deutete auf den Weißkittel wie ein Theaterregisseur, der einem Schauspieler den Einsatz gab. Der Weißkittel legte die Schalter um. Die drei roten Lampen färbten sich grün.
    Die Sprechanlage war noch aktiviert. Bradley hörte, wie Hallas fast ängstlich »Hat es schon angefangen?« fragte.
    Niemand antwortete ihm. Es spielte keine Rolle mehr. Er schloss die Augen. Eine Minute verging. Dann zwei. Dann vier. Bradley sah sich um. Father Patrick war verschwunden.
    9
    Als Bradley zwanzig Minuten später ins Freie trat, schlug ihm der kalte Präriewind entgegen. Er schloss den Reißverschluss seines Mantels und atmete ein paarmal tief durch, bemüht, möglichst schnell möglichst viel frische Luft in die Lunge zu saugen. Es war nicht die Hinrichtung per se, die ihn so mitgenommen hatte; abgesehen von dem bizarren blauen Hemd des Direktors war alles so nüchtern verlaufen wie eine Tetanusspritze oder eine Herpesimpfung. Aber gerade das war ja das Schreckliche.
    Wie ein Schnitt beim Rasieren, dachte Bradley. Den Schmerz spürt man erst später.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung im Hühnerhof, wo sich die Verurteilten üblicherweise die Beine vertraten. Dabei sollte heute niemand dort sein. Am Tag einer Hinrichtung war der Hofgang gestrichen. Das hatte McGregor ihm erzählt. Und tatsächlich – als er den Kopf wandte, sah er, dass der Hühnerhof leer war.
    Es hat die Gestalt eines kleinen Jungen, dachte Bradley.
    Er lachte. Er zwang sich zum Lachen. Kein Wunder, dass er nach so einer Sache Gespenster sah. Wie zum Beweis bekam er eine Gänsehaut.
    Father Patricks alter Volvo war nirgends zu sehen. Auf dem kleinen Besucherparkplatz neben dem Nadelpalast stand nur noch sein eigener Wagen. Bradley ging ein paar Schritte darauf zu, dann wirbelte er so plötzlich zum Hühnerhof herum, dass der Mantelsaum um die Knie flatterte. Niemand zu sehen. Natürlich nicht. George Hallas war verrückt gewesen, und selbst wenn dieser böse kleine Junge wirklich existiert hatte, war er nun tot. Dafür hatten die sechs Kugeln aus dem .45er gesorgt.
    Bradley ging weiter. Als er die Motorhaube seines Wagens erreichte, blieb er abermals stehen. Ein hässlicher Kratzer zog sich von der vorderen Stoßstange seines Fords bis zum linken Rücklicht. Jemand hatte sein Auto mit einem Schlüssel zerkratzt. Auf dem Gelände eines Hochsicherheitsgefängnisses. Man musste drei Mauern und ebenso viele Sicherheitskontrollen passieren, um hierherzugelangen. Und doch hatte irgendjemand sein Auto zerkratzt.
    Bradley verdächtigte als Erstes den Staatsanwalt, der mit über der Brust verschränkten Armen wie ein Abziehbild alttestamentarischer Selbstgerechtigkeit dagesessen hatte. Aber dieser Verdacht entbehrte jeder Logik. Schließlich hatte der Staatsanwalt seinen Willen bekommen; er hatte George Hallas beim Sterben zugesehen.
    Bradley öffnete die Autotür. Er hatte den Wagen nicht abgeschlossen – wieso auch, er befand sich schließlich in einem Gefängnis – und stand mehrere Sekunden wie erstarrt da. Dann, wie von einer fremden Macht gesteuert, glitt seine Hand langsam vor seinen Mund. Auf dem Fahrersitz lag eine Propellermütze. Einer der beiden Plastikflügel war abgeknickt.
    Schließlich beugte er sich vor und hob sie mit spitzen Fingern auf. Genau wie Hallas damals. Er drehte sie herum. In der Mütze steckte eine Notiz, geschrieben in schiefen, engen, zur Seite geneigten Buchstaben. Eine Kinderschrift.
    KANNST DU BEHALTEN, ICH HAB NOCH EINE.
    Er hörte ein hohes, gellendes Kinderlachen. Er sah zum

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