Böser kleiner Junge (German Edition)
funktioniert hatte, konnte auch ein zweites Mal funktionieren. Diesmal war es eine Blendschutzbrille statt einer Steve-Austin-Lunchbox, aber das Prinzip war das gleiche. Später würde der Junge, der Ronnies Brille genommen hatte, in Tränen ausbrechen und behaupten, er habe ja nicht gewusst, was passieren würde, er habe gedacht, es sei nur ein Scherz oder ein Streich oder vielleicht die Rache dafür, dass Ronnie den kleinen pummeligen Rotschopf auf der Straße umgeschubst habe.
Natürlich hätte ich Ronnie mühelos einholen können, ich blieb aber zunächst zurück. Er war nämlich mein Köder, und den wollte ich auf keinen Fall zu früh einkurbeln. Als Ronnie näher kam, rannte der Junge, der für den bösen kleinen Jungen die Drecksarbeit erledigte, durch den Steinbogen zwischen dem Park und dem Barnum Boulevard, wobei er nach wie vor Ronnies Brille über dem Kopf schwenkte. Ronnie folgte ihm dichtauf, dann kam ich. Im Laufen riss ich den Reißverschluss der Sporttasche auf. Sowie ich den Revolver in der Hand hielt, ließ ich die Tasche fallen und spurtete los.
Bleib hier, rief ich Ronnie zu, als ich an ihm vorbeirannte. Rühr dich nicht vom Fleck!
Er gehorchte. Gott sei Dank. Wenn ihm etwas passiert wäre, dann säße ich jetzt nicht hier und würde auf die Todesspritze warten, Mr. Bradley; dann hätte ich mich schon längst selbst umgebracht.
Als ich durch den Steinbogen lief, erblickte ich sofort den bösen kleinen Jungen. Er sah immer noch so aus wie in meiner Kindheit – nur die Farbe der Propellermütze hatte sich geändert. Der große Junge reichte ihm Ronnies Brille, und der böse kleine Junge gab ihm einen Geldschein dafür. Als er mich kommen sah, verschwand zum ersten Mal dieses grässliche, höhnische Grinsen aus seinem Gesicht. So war das nicht geplant gewesen! Der Plan lautete: erst Ronnie, dann ich. Ronnie hätte dem bösen kleinen Jungen auf die Straße folgen sollen, um von einem Lastwagen oder einem Bus überfahren zu werden. Erst dann hätte ich dazustoßen und alles mit ansehen sollen.
Karottenkopf lief auf den Barnum Boulevard. Sie wissen ja, wie es vor dem Park aussieht – oder sollten es zumindest wissen, immerhin hat die Anklage das Video während der Verhandlung drei Mal vorgeführt. Es ist eine sechsspurige Straße – drei Spuren in jede Richtung, eine davon die Abbiegespur mit einem Trennstreifen aus Beton dazwischen. Als der böse kleine Junge den Trennstreifen erreichte, sah er sich um, und inzwischen wirkte er mehr als nur verwundert. In seinen Augen stand die blanke Angst. Bei diesem Anblick war ich zum ersten Mal, seit Carla kopfüber die Kirchentreppe hinuntergestürzt war, wieder glücklich.
Mehr als ein kurzer Blick war mir nicht vergönnt. Der böse kleine Junge lief direkt auf die Fahrbahn, ohne dem Verkehr auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Ich folgte ihm auf die Straße. Sicher, ich hätte überfahren werden können. Das nahm ich in Kauf. Immerhin wäre es ein echter Unfall gewesen, kein auf mysteriöse Weise klemmendes Gaspedal. Das mag Ihnen vielleicht selbstmörderisch vorkommen, war es aber nicht. Ich durfte ihn auf keinen Fall entkommen lassen. Vielleicht hätte ich ihn erst in zwanzig Jahren wiedergesehen, und bis dahin wäre ich ein alter Mann gewesen.
Ich weiß nicht, wie nahe ich dran war, über den Haufen gefahren zu werden. Jedenfalls hörte ich nicht wenige kreischende Bremsen und quietschende Reifen. Eines der Autos wich dem Jungen aus und streifte einen Lieferwagen. Irgendjemand nannte mich ein verrücktes Arschloch. Was zum Teufel macht der Kerl da, wollte ein anderer wissen. Das waren nur Hintergrundgeräusche. Ich hatte einzig und allein den bösen kleinen Jungen im Sinn – meinen großen Fang.
Er rannte, so schnell er konnte. Doch was für ein Monster er auch immer sein mochte, es steckte in einem pummeligen Kinderkörper mit kurzen Beinen. Er hatte keine Chance und konnte nur darauf hoffen, dass mich ein Auto erwischte, aber so viel Glück hatte er nicht.
Er erreichte die andere Straßenseite, stolperte und schlug längelang auf dem Gehweg hin. Der Mann hat eine Waffe, hörte ich eine Frau schreien, eine stämmige Lady mit blondiertem Haar. Sie hat bei der Verhandlung ausgesagt, aber ich kann mich nicht mehr an ihren Namen erinnern.
Der Junge wollte sich aufrappeln. Das ist für Marlee, du klei ner Hurensohn, rief ich und schoss ihm in den Rücken. Das war Nummer eins.
Er kroch auf allen vieren weiter. Das Blut tropfte auf den
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