Boeser Traum
Amsterdam.«
Julius nickt wieder.
»Morgen früh um vier geht ein Bus. Nonstop Amsterdam. Ab Busbahnhof. 45 Euro das Ticket.«
»Danke.«
Wird Lotta sich neben ihn in einen Bus setzen und nach Amsterdam fahren? Sie vertraut ihm noch nicht so, wie sie sollte. Er müsste sie wohl noch ein bisschen mit kleinen Pillen füttern. Ãberhaupt: Auch für Emilia braucht er noch Nachschub. Die vier gestern waren nicht stark genug, wie er heute feststellen musste. Sie ist zwar nicht bei Bewusstsein â aber sie lebt noch ⦠Wenn die Ãrzte inzwischen auch sehr in Sorge sind.
Und wieder durchforstet Julius in Gedanken das ganze Krankenhaus. Wo könnte er unauffällig ein paar Tranquis abzwacken? Plötzlich kichert er. Wie ein kleines Kind. Ein alter Mann, der gerade neben ihm im Müll wühlt, guckt ihn an. Julius merkt es nicht. Er wühlt aufgeregt in seiner Tasche nach seinem Telefon.
Zwei Minuten später hat er einen Termin bei seinem Arzt für zehn Uhr. Und dem wird er eindrucksvoll erzählen, dass er wieder fürchterliche Angstattacken hat, dass er jetzt unbedingt eine Therapie anfangen will, aber das so aufgeregt nicht schaffen wird. Er muss erst ruhiger werden.
Plötzlich überkommt ihn Müdigkeit. Wie eine Bleischürze, die man beim Röntgen tragen muss. Die Anspannung der letzten Stunden fällt ab. Er muss sich ausruhen. Er würde sich am liebsten einfach auf eine Wiese im Park legen. Aber da er ohnehin noch in sein Zimmer muss, um ein paar Sachen zu packen, kann er sich auch auf sein Bett legen. Ganz in Ruhe. Er hört zwar die leise Stimme in sich, die flüstert: »Tu das nicht.« Aber er ignoriert sie. Die Müdigkeit ist stärker. Er legt sich angezogen auf die Matratze und ist nach Sekunden eingeschlafen. Sein Körper erholt sich, sein Kopf ist wehrlos den Bildern ausgesetzt. Seine Mutter, Lotta, Emilia alle tauchen sie auf. Seine Mutter, die Lotta anfasst. Julius wälzt sich. Ãberall anfasst. Julius will im Traum schreien und kann es nicht. Emilias Gesicht schiebt sich davor. Ihr Blick klagt ihn an. »Du bist tot«, schreit Julius. Er will sie wegschieben, nach Lotta schauen, er kann seine Hand nicht bewegen. Emilia kommt näher. Sie macht den Mund auf. Er sieht ihre nasse Zunge, der Schlund wird riesig. Sie wird zu einem übergroÃen Organ, das ihn einsaugen will. Er hört Lottas Stimme, weià nicht, woher sie kommt.
Als Julius nach einer Stunde wach wird, ist er schweiÃgebadet. Sein Puls rast. Es kostet ihn Mühe, die Bilder zur Seite zu schieben. Traum und Realität wieder zu trennen. Er taumelt zum Waschbecken, das kalte Wasser im Gesicht hilft ein bisschen. Er schaut sich in die Augen.
»Ich töte sie ja nicht. Ich gebe ihr etwas zur Beruhigung. Wenn das zu stark ist, kann ich nichts dafür. Vielleicht schafft sie es ja auch. Sie hätte eben nicht ohne Helm Rad fahren sollen. Sie ist selber schuld. Sie ist schuld«, sagt er sich und nickt sich selber aufmunternd zu.
»AuÃerdem habe ich ihr geholfen. Ich habe Lotta gerettet«, lächelt er plötzlich.
Die Illusion der Macht
D er Arzt verschreibt ihm die gewünschten Tabletten, sogar die starken. Im Weggehen überfliegt Julius die Nebenwirkungen, Warnhinweise, Dosierungsempfehlung. Die Tageshöchstdosis liegt bei zwei Pillen. Da müssten fünf für Emilia reichen. Seine Hand umschlieÃt die Packung. Er fühlt sich mächtig. Er fühlt sich stark. Er beschlieÃt, Lotta einfach die Wahrheit zu sagen. Dass sie zusammen weggehen werden. Er hat sie gefunden und erlöst. Sie ist sein Mädchen. Sie ist für ihn bestimmt. Sie wird nicht wollen. Dann muss er sie eben zu ihrem Glück zwingen. Er hat sie gerettet â sie ist ihm was schuldig. Das wird sie begreifen müssen.
Er platzt mitten in die Visite, schnell schlieÃt er sich im Klo ein. Er will abwarten, bis der ganze Trupp am anderen Ende der Station angekommen ist. Dann wird er zu Emilia gehen. Er ist erstaunlich ruhig, seine Lippen formen immer wieder den einen Satz: Sie ist selber schuld!
Nach zwanzig langen Minuten scheint die Luft rein zu sein. Er schleicht zu Emilia. Sie schläft. Er hat die fünf Tabletten schon aus der Verpackung gedrückt, hält sie in der Hand. Diesmal wird die Dosis ausreichen. Er ist sich ganz sicher. Ganz sanft schiebt er ihr die erste zwischen die Lippen.
»Wer sind Sie?«
Er fährt herum, starrt Dagmar
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