Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
völlig aus der Bahn geworfen und seinem Selbstwertgefühl erheblichen Schaden zugefügt. Letztlich hatte ihn seine private Misere unkonzentriert werden lassen und ihn zu Fehlern verleitet, die ihm früher nie unterlaufen wären. Allerdings hatte er in den vergangenen Wochen und Monaten auch festgestellt, dass seine Ehe mit Cosima alles andere als so perfekt gewesen war, wie er sich das über zwanzig Jahre lang eingeredet hatte. Viel zu oft hatte er nachgegeben und gegen seinen Willen gehandelt, der Harmonie, den Kindern, dem äußeren Schein zuliebe. Das war nun vorbei.
Die Schlange im Gang setzte sich langsam in Bewegung. Bodenstein stand auf, hob seinen Koffer aus dem Gepäckfach und folgte seinen Mitreisenden Richtung Ausgang.
Von Gate A49 war es ein ordentlicher Fußmarsch bis zum Ausgang, irgendwo folgte er einem falschen Schild, wie es ihm immer wieder auf diesem gigantischen Flughafen passierte, und landete in der Abflughalle. Mit der Rolltreppe fuhr er hinunter in die Ankunftsebene und trat hinaus in die warme Abendluft. Kurz vor neun. Um neun Uhr wollte Inka ihn abholen. Bodenstein überquerte die Taxispur und blieb bei den Kurzzeitparkplätzen stehen. Er sah ihren schwarzen Landrover schon von weitem und lächelte unwillkürlich. Wenn Cosima ihm versprochen hatte, ihn irgendwo abzuholen, dann war sie zu seiner Verärgerung immer mindestens eine Viertelstunde zu spät aufgetaucht. Bei Inka war das anders.
Der Geländewagen bremste neben ihm, er öffnete die hintere Tür, wuchtete seinen Rollkoffer auf den Rücksitz und stieg dann vorne ein.
»Hi.« Sie lächelte. »Guten Flug gehabt?«
»Hallo.« Bodenstein lächelte auch und schnallte sich an. »Ja, wunderbar. Danke fürs Abholen.«
»Kein Problem. Gern geschehen.«
Sie setzte den linken Blinker, warf einen Blick über die Schulter und fädelte sich wieder in die Reihe der langsam fahrenden Autos ein.
Bodenstein hatte niemandem erzählt, weshalb er wirklich in Potsdam gewesen war, auch Inka nicht, obwohl sie in den letzten Monaten eine echte Freundin geworden war. Diese Sache war einfach zu persönlich. Er lehnte seinen Kopf an die Nackenstütze. Ein Gutes hatte die Geschichte mit Annika Sommerfeld zweifellos gehabt. Er hatte endlich angefangen, über sich selbst nachzudenken. Das war ein schmerzlicher Prozess der Selbsterkenntnis gewesen, der ihn hatte begreifen lassen, dass er nur ziemlich selten das getan hatte, was er wirklich wollte. Immer hatte er Cosimas Wünschen und Ansprüchen nachgegeben, aus Gutmütigkeit, purer Bequemlichkeit oder vielleicht sogar aus Verantwortungsbewusstsein, aber das spielte keine Rolle. Im Endeffekt war er zum langweiligen Ja-Sager geworden, zum Pantoffelheld, und damit hatte er jegliche Attraktivität eingebüßt. Kein Wunder, dass sich Cosima, die nichts so sehr hasste wie Routine und Langeweile, in eine Affäre gestürzt hatte.
»Ich habe übrigens die Schlüssel für das Haus bekommen«, sagte Inka. »Wenn du willst, kannst du es dir heute Abend noch ansehen.«
»Oh, das ist eine gute Idee.« Bodenstein blickte sie an. »Du müsstest mich allerdings vorher nach Hause fahren, damit ich mein Auto holen kann.«
»Ich kann dich auch später heimfahren, sonst wird es zu spät. Es gibt noch keinen Strom im Haus.«
»Wenn dir das nichts ausmacht.«
»Macht es nicht.« Sie grinste. »Ich habe heute Abend frei.«
»Na, dann nehme ich dein Angebot gerne an.«
Dr. Inka Hansen war Tierärztin und betrieb gemeinsam mit zwei Kollegen eine Pferdeklinik im Kelkheimer Stadtteil Ruppertshain. Durch ihren Job hatte sie auch von dem Haus erfahren, einer Doppelhaushälfte, dessen Bauherr das Geld ausgegangen war. Seit einem halben Jahr ruhten die Bauarbeiten, und das Haus war für einen vergleichsweise günstigen Preis auf dem Markt.
Eine halbe Stunde später hatten sie die Baustelle erreicht und balancierten über eine Holzbohle zur Haustür. Inka schloss auf, sie traten ein.
»Der Estrich ist drin, alle Installationen sind gemacht. Aber das war’s«, sagte Inka, als sie durch die Räume im Erdgeschoss schlenderten.
Anschließend gingen sie die Treppe hoch in den ersten Stock.
»Wow! Die Aussicht ist spektakulär«, stellte Bodenstein fest. In der Ferne sah man die glitzernden Lichter von Frankfurt auf der linken und den hell erleuchteten Flughafen auf der rechten Seite.
»Unverbaubare Fernsicht«, bestätigte Inka. »Und wenn es hell ist, sieht man von hier aus sogar Schloss Bodenstein.«
Das Leben machte manchmal
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