Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
wirklich seltsame Umwege. Er war vierzehn Jahre alt gewesen, als er sich unsterblich in Inka Hansen, die Tochter des Pferdetierarztes aus Ruppertshain verliebt hatte, aber er hatte nie den Mut aufgebracht, ihr das zu gestehen. Und so war es zu Missverständnissen gekommen, die ihn zum Studium in die Ferne getrieben hatten. Dort war ihm erst Nicola über den Weg gelaufen, dann Cosima. An Inka hatte er gar nicht mehr gedacht, bis sie sich im Zuge einer Mordermittlung vor fünf Jahren wieder begegnet waren. Damals hatte er noch geglaubt, seine Ehe mit Cosima würde ewig halten, und wahrscheinlich hätte er Inka wieder aus den Augen verloren, wenn sich nicht ausgerechnet ihre Tochter und sein Sohn ineinander verliebt hätten. Im letzten Jahr hatten die beiden geheiratet, und auf der Hochzeit hatte er als Vater des Bräutigams neben ihr, der Mutter der Braut, gesessen. Sie hatten sich gut unterhalten, danach gelegentlich telefoniert und waren dann ein paar Mal zusammen essen gewesen. Im Laufe der Monate hatte sich eine echte Freundschaft entwickelt, die Telefonate und Abendessen wurden bald zu einer regelmäßigen Gewohnheit. Bodenstein war gerne mit Inka zusammen, er schätzte sie sehr als Gesprächspartnerin und gute Freundin. Inka war eine starke, selbstbewusste Frau, die großen Wert auf ihre Freiheit und Unabhängigkeit legte.
Das Leben gefiel Bodenstein ganz gut, so wie es war, mal abgesehen von seiner Wohnsituation. Er konnte nicht ewig im Kutscherhaus auf Hofgut Bodenstein wohnen.
Im schwindenden Tageslicht besichtigten sie das ganze Haus, und Bodenstein erwärmte sich immer mehr für den Gedanken, nach Ruppertshain zu ziehen, um ganz in der Nähe seiner jüngsten Tochter zu leben. Cosima wohnte seit ein paar Monaten auch in Ruppertshain. Sie hatte eine Wohnung im Zauberberg, der ehemaligen Lungenheilstätte, gemietet, wo sie auch ihr Büro hatte. Nach Monaten der Vorwürfe, Gegenvorwürfe und Kränkungen verstanden Cosima und Bodenstein sich so gut wie selten zuvor. Sie teilten sich das Sorgerecht für Sophia, die für Bodenstein oberste Priorität hatte. Er hatte seine jüngste Tochter an jedem zweiten Wochenende bei sich, und manchmal auch unter der Woche, wenn Cosima Termine hatte.
»Es ist wirklich ideal«, sagte er begeistert, als sie den Rundgang beendet hatten. »Sophia hätte ihr eigenes Zimmer, und wenn sie erst älter ist, kann sie alleine hierherkommen oder sogar mit dem Fahrrad zu meinen Eltern fahren.«
»Das habe ich mir auch gedacht«, entgegnete Inka. »Soll ich dir den Kontakt zum Verkäufer machen?«
»Ja, sehr gerne.« Bodenstein nickte.
Inka schloss die Haustür ab und ging vor ihm über das Brett Richtung Straße. Die Nacht war dunstig, und zwischen den Häusern stand noch die Wärme des Tages. Der Duft von Holzkohle und gegrilltem Fleisch lag in der Luft, aus einem der Gärten schallten Stimmen und Gelächter herüber. Im Kutscherhaus, das ein Stück weit abseits des Gutshofes stand, gab es keine Nachbarn, keine beleuchteten Fenster anderer Häuser oder vorbeifahrende Autos, abgesehen von den Gästen des Schlossrestaurants. In dunklen Nächten, besonders im Winter, versank das Leben zu später Stunde vollkommen in der Stille des Waldes. Je nach Gemütslage konnte diese Ruhe bedrückend sein oder besänftigend, aber Bodenstein war ihrer überdrüssig.
»Stell dir vor«, sagte er, »wenn es klappen sollte, dann wären wir fast so etwas wie Nachbarn.«
»Würde dir das gefallen?«, fragte Inka leichthin.
Sie blieb neben ihrem Auto stehen, wandte sich um und sah ihn an. Im Licht der Straßenlaterne glänzte ihr naturblondes Haar wie Honig. Bodenstein bewunderte aufs Neue ihre klaren Gesichtszüge, die hohen Wangenknochen und ihren schönen Mund. Weder die Jahre noch die harte Arbeit als Tierärztin hatten ihrer Schönheit etwas anhaben können. Der Gedanke, warum sie nie einen Mann oder festen Freund gehabt hatte, ging ihm zum wiederholten Mal durch den Kopf.
»Klar.« Er ging um das Auto herum zur Beifahrertür und stieg ein. »Das wäre doch wunderbar. Wollen wir schnell noch im Merlin eine Pizza essen gehen? Ich habe einen Bärenhunger.«
Inka setzte sich hinter das Lenkrad.
»Okay«, antwortete sie nach einem winzigen Zögern und ließ den Motor an.
*
Schon das dritte Mal kurvte Pia auf der vergeblichen Suche nach einem geeigneten Parkplatz durch die engen kopfsteingepflasterten Gassen der Königsteiner Altstadt und verfluchte dabei die Ausmaße ihres Geländewagens. Direkt vor
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