Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
hatten Spaß zu dritt, während sie einsam und verlassen im Haus ihrer Schwiegereltern herumhockte, zerrissen von Kummer und Eifersucht. Ein Dutzend Mal hatte Emma das Telefon in der Hand gehabt, um Florian anzurufen, aber sie hatte es nicht getan. Was hätte sie auch fragen sollen? Wie geht es Louisa? Schläft sie gut? Was hat sie gegessen? Ist eine andere Frau bei dir? Albern. Unmöglich.
Emma hatte begonnen, die Stunden bis zum Sonntagnachmittag zu zählen. Wie sollte sie nur diesen Schmerz, diese quälende Einsamkeit zukünftig an jedem zweiten Wochenende aushalten?
Schluchzend hatte sie ihr Gesicht in Louisas Kopfkissen gebohrt, in hilflosem Zorn auf die Stofftiere eingeschlagen. Florian konnte einfach ein neues Leben anfangen, sie hingegen würde in Kürze von einem Neugeborenen vollkommen in Anspruch genommen. Und wahrscheinlich würde er das ausnutzen, um Louisa noch enger an sich zu binden! Irgendwann war die Erschöpfung stärker als ihr Kummer gewesen, und sie war auf dem Kinderbett eingenickt.
Um sieben Uhr war sie aufgewacht, die Muskeln steif von der unbequemen Haltung auf dem viel zu kurzen Bett, und irgendetwas hatte sich in ihr Genick gebohrt. Emma hatte das Kopfkissen aufgeschüttelt und darunter die Küchenschere gefunden, die sie seit ein paar Tagen suchte. Wieso lag in Louisas Bett eine Schere?
Emma brachte die Schere in die Küche und nahm sich vor, Louisa gleich am Sonntag danach zu fragen. Die Dusche verschaffte ihr kaum Erleichterung, doch wenigstens fühlte sie sich nicht mehr so klebrig und verschwitzt.
Für neun Uhr hatte Corinna eine Besprechung wegen der Geburtstagsfestivitäten am 2. Juli in ihrem Büro anberaumt. Mittlerweile musste jeder wissen, dass Florian ausgezogen war. Emma fürchtete das Mitleid der anderen noch mehr als neugierige Fragen, dennoch beschloss sie hinzugehen. Vielleicht lenkte sie das eine Weile von ihrem Kummer ab. Sie tupfte etwas Puder auf ihr fettig glänzendes Gesicht und trug Wimperntusche auf, die aber sofort verwischte. Mit einem Wattestäbchen beseitigte sie die schwarzen Flecken über ihren Augen. Der Tretmülleimer im Badezimmer quoll über. Sie bückte sich mit einem Seufzer, zog ihn aus der Halterung und trug ihn hinüber in die Küche, um den Inhalt in den Küchenmülleimer zu leeren. Plötzlich stutzte sie. Was war das denn? Unter zerknüllten Kleenex und Wattestäbchen lag ein Klumpen aus hellbraunem Stoff, als sie ihn hervorzog, kullerte ein grünes Glasauge über den Boden.
Emma identifizierte die Stofffetzen sofort als die Handpuppe, die Louisa ganz besonders gern hatte: einen hellbraunen Wolf mit roter Stoffzunge und weißen Reißzähnen aus Filz. Sie breitete die einzelnen Fetzen auf dem Küchentisch aus und schauderte bei der Vorstellung, wie ihre fünfjährige Tochter mit der großen Küchenschere hantiert hatte. Wann hatte sie das getan? Und vor allen Dingen – warum? Louisa liebte Wolfi mehr als die anderen Stofftiere und Handpuppen, von denen sie eine unüberschaubare Menge besaß. Er hatte einen Ehrenplatz neben ihrem Kopfkissen, oft trug sie ihn auch tagsüber mit sich herum. Eine lange Zeit war sie abends nicht eingeschlafen, bevor man ihr nicht ein kurzes Theaterstück mit Wolfi vorgespielt hatte. Emma versuchte sich daran zu erinnern, wann sie das Stofftier zum letzten Mal gesehen hatte, aber es wollte ihr nicht einfallen. Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl, legte das Kinn in die Hand und betrachtete die Überreste der Handpuppe. Irgendetwas stimmte mit Louisa nicht. War ihr verändertes Verhalten in den vergangenen Wochen wirklich nur eine schwierige Phase? Fühlte das Kind sich womöglich vernachlässigt, weil ihre Eltern zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren? War dieser Zerstörungsakt ein kindlicher Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen? Doch dann hätte sie ihr Werk einfach im Kinderzimmer auf dem Boden liegen lassen können, so aber hatte sie die Reste an einem Ort versteckt, wo sie niemand finden sollte. Das war seltsam. Und beängstigend. Verdrängen und beschönigen nutzte nichts mehr. Sie musste Louisas Veränderung auf den Grund gehen. So bald wie möglich.
*
Leonie Verges füllte eine Gießkanne nach der anderen mit frischem Leitungswasser. Normalerweise tat sie das abends, damit das Wasser am Morgen schon lauwarm und etwas abgestanden war, denn das mochten die Rosen und Hortensien am liebsten. Doch gestern hatte sie es vergessen. Als sie die Hofreite in der Niederhofheimer Straße vor zwölf Jahren gekauft
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