Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Hauptquartier einer Rockerbande. Ich war da, aber sie haben einen Hund auf mich gehetzt.«
Die Angst kam wie ein schleichendes Gift, Leonie begann zu schwitzen. Sie musste sich bemühen, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten, und verschränkte ihre zitternden Arme vor der Brust.
»Waren Sie deshalb schon bei der Polizei?«, fragte sie.
Der Mann, der bisher noch nichts gesagt hatte, räusperte sich.
»Nein, noch nicht«, sagte er. »Ich kenne Hanna schon sehr lange, sie arbeitet seit vierzehn Jahren für unseren Sender. Und ich weiß, wie empfindlich sie ist, wenn es um ihre Recherche geht. Deshalb wollten wir zuerst einmal selbst herausfinden, ob der Überfall auf sie mit ihrer Arbeit zusammenhängen könnte.«
Ganz sicher gab es da einen Zusammenhang, aber es war eindeutig besser, sich unwissend zu stellen.
»Frau Herzmann ist seit ein paar Wochen bei mir in Therapie«, erwiderte Leonie mit einem bedauernden Unterton in der Stimme. »Sie hat mir nicht erzählt, was oder woran sie arbeitet. In der E-Mail ging es um eine ehemalige Patientin von mir, die Frau Herzmann zufällig kannte. Mehr darf ich Ihnen aber nicht sagen.«
Leonie spürte den prüfenden, beinahe feindseligen Blick von Meike Herzmann. Du lügst , sagte dieser Blick, und ich weiß es . Doch es blieb ihr nichts anderes übrig, sie musste Michaela um jeden Preis schützen.
Der Mann bedankte sich, reichte ihr eine Visitenkarte, die sie in die Tasche ihrer Gartenschürze steckte.
»Vielleicht fällt Ihnen ja doch noch etwas ein, was uns helfen könnte«, sagte er und legte kurz seinen Arm um die Schulter der jungen Frau. »Komm, Meike. Gehen wir.«
Sie verließen den Hof, und Leonie blickte ihnen nach, bis sie in ein Auto mit Frankfurter Kennzeichen gestiegen waren, das auf einem der fünf Parkplätze vor der Bäckerei stand. Dann schloss sie das Hoftor, legte die Riegel vor und ging ins Haus. Sie musste dringend telefonieren. Sehr dringend. Nein, besser nicht telefonieren. Einen Moment lang stand sie unentschlossen im Flur, dann ergriff sie den Autoschlüssel, der am Schlüsselbrett neben der Haustür hing. Sie würde hinfahren. Vielleicht war es noch nicht zu spät für eine Schadensbegrenzung.
*
Kai Ostermann hatte drei Stunden gebraucht, um herauszufinden, dass Kilian Rothemund nirgendwo polizeilich gemeldet war. Seitdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war, existierte er offiziell nicht mehr. Weder bekam er Geld vom Staat noch der Staat Geld von ihm. Die Handynummer seines Bewährungshelfers stimmte nicht mehr, beim Festnetzanschluss meldete sich nur ein Anrufbeantworter, der gleich mitteilte, dass es keine Möglichkeit gebe, eine Nachricht zu hinterlassen.
»Hier ist es.« Pia stoppte das Auto vor einem Glaskasten mit Flachdach und einem gepflegten Vorgarten. »Oranienstraße 112.«
Sie stiegen aus und überquerten die Straße. Der Asphalt war schon am Vormittag glühend heiß, Pia konnte das selbst durch die Sohlen ihrer Turnschuhe spüren. Vor der Doppelgarage stand ein schneeweißer SUV , also war wohl jemand zu Hause. Kai war bei seiner Recherche auf Rothemunds frühere Adresse in Bad Soden gestoßen, und Bodenstein hoffte, dass die neuen Eigentümer wussten, was aus den Vorbesitzern des Hauses geworden war.
Pia drückte auf die Klingel neben dem Briefkasten. Die diskreten Initialen K. H. verrieten keinen Namen.
»Hallo?«, quakte es aus der Sprechanlage.
»Kriminalpolizei. Wir würden gerne mit Ihnen sprechen«, sagte Pia.
»Moment.«
Der Moment dauerte geschlagene drei Minuten.
»Warum brauchen die so lange?« Pia pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Manche Leute rissen vor Neugier sofort die Tür auf, wenn sie klingelten, bei anderen Menschen weckte ein Besuch der Kripo diffuse Schuldgefühle, und sie zögerten die Begegnung heraus.
»Vielleicht jagen sie noch schnell irgendwelche kompromittierenden Unterlagen durch den Reißwolf«, erwiderte Bodenstein und grinste. »Oder sie schaffen Omas Leiche in den Keller.«
Pia warf ihrem Chef einen kritischen Seitenblick zu. Diese lockere Art von Humor war ganz neu bei ihm, genauso neu wie seine Angewohnheit, sich nur noch unregelmäßig zu rasieren und keine Krawatten mehr zu tragen. Zweifelsohne hatte Bodenstein sich in den letzten Wochen verändert, durchaus zu seinem Vorteil, wie sie fand, denn es war ganz und gar nicht einfach gewesen, mit einem ewig deprimierten und geistesabwesenden Chef zusammenzuarbeiten.
»Sehr witzig.« Pia wollte gerade wieder
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