Boeses Blut
da es keine Lilith mehr zu retten galt, hatte ich die Orientierung verloren.
» Das nächste Mal«, sagte Parker, »schreib einfach keine Bestnoten in deinen Geschichtsarbeiten. Nicht, dass es ein nächstes Mal geben würde.«
Dann hob Erasmus den Gegenstand, den er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, in die Höhe. Es war ein wunderschön gearbeiteter Holzpfahl mit versilberter Spitze und einem mit Juwelen besetzten, goldenen Griff. Irgendjemand hatte diesen Pfahl mit sehr viel Hingabe und Handwerkskunst gefertigt. Das Holz war über die Jahr e – und vielleicht durch das Blut all der Opfer, die vor mir damit ins Jenseits befördert worden waren – dunkel geworden.
Sie würden mich töten, und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. »Ich habe die kleine Anekdote über die blutleere Leiche erzählt, um sicherzugehen«, sagte Parker. Ihre Worte drangen in meinen Kopf wie durch eine Mauer aus Verbandmull. »Jeder normale Mensch hätte gefragt: ›Glaubst du, das war ein Vampir?‹ Aber du hast es kein bisschen ins Lächerliche gezogen.«
» Ein totes Mädchen gehört nicht zu den Dingen, über die man Witze reißt«, entgegnete ich.
» Das gleiche gilt für ein totes Cloudland-Mitglied im Keller«, meinte Erasmus. Zu Parker gewandt fuhr er fort: »Manchmal glaube ich, du kannst nicht nur Besitz von anderen ergreifen und deine Gestalt verändern, sondern auch hellsehen.«
» Und dann deine Besessenheit, dich als Held aufzuspielen«, sagte Parker. »Wir mussten ›Lilith‹ einfach nur unseren kleinen Helden losschicken lassen, damit er irgendjemandem zur Rettung eilte, und es war klar, dass Blut fließt. Da wir nicht wussten, wen es treffen würde, haben wir allen vier Männern jede Menge Knoblauch und Weihwasser eingeflößt. Für sie war das kein Problem, abgesehen vom schlechten Atem, aber du konntest dem Drang zu trinken nicht widerstehen. Es ist schon witzig, dass dein untoter Hunger deinen zweiten Tod herbeiführen wird.«
Knoblauch und Weihwasser. Und ich hatte aus dem Hals einer der Männer getrunken. Das war es also, was mich so lähmte: das Kryptonit für Vampire. Ein paar Jüngerinnen packten mich und ich versuchte sie abzuschütteln, doch ich war so schwach wie ein kraftloses Katzenbaby. Ich schaute sie an und erkannte, dass es Mädchen waren, die selbst ziemlich zart und gebrechlich wirkten. Mein Selbstbewusstsein sank ins Bodenlose.
Sie führten mich zu dem Stuhl und setzten mich hin. Mein Kopf war so schwer, dass ich ihn kaum oben halten konnte. Der Stuhl fiel nach hinten um, so dass ich genau ins Gesicht der hässlichen Steindämonin blickte.
Nun wurde mir alles klar. Es war nicht Lilith, die sie opfern wollten.
Ich war es.
»Das ist eine große Ehre, Spider«, sagte Parker. »Hättest du ewig so weitermachen wollen? Dich verstecken? Von einem Ort zum anderen ziehen? Dich von gestohlenem Blut ernähren? Es wäre eine sinnlose Existenz gewesen. Auf diese Weise wirst du Teil von etwas Größerem.«
Von links trat Erasmus in mein Blickfeld, den Holzpfahl wie bei einer Zeremonie emporgehoben, während Parker von der anderen Seite kam. In der Hand hielt sie einen Kristallkelch.
»Auf diese Weise«, sagte sie, »warst du nicht nutzlos.«
Ich war ganz sicher nicht katholisch, doch ich konnte mir denken, was sie vor hatten. Erasmus würde seinen schicken Pfahl in mich stoßen, Parker würde mein Blut auffangen, und während ich ein zweites Mal starb, würde die Menge am Kelch vorbeigehen und sich ein Schlückchen genehmigen. Ich weiß nicht, was danach passieren sollte. Wahrscheinlich erwarteten sie, dass ihnen so ein unendliches Leben beschert würde.
Vielleicht wollten sie aber auch auf diese Weise ihren Gesängen genug Kraft verleihen, um diese große steinerne Schlampe zum Leben zu erwecken.
Ich stellte mir vor, wie sie die Hauptstraße entlangstampfte, wo ich meine letzte Bloody Mary getrunken hatte. Wahrscheinlich würde Parker in sie übergehen und als das Herz, die Seele und das Gehirn der Kreatur dienen. Die gesamte Boshaftigkeit und die soziopathische Psyche Parkers in einem unsterblichen, unbesiegbaren Körper.
Heilige Scheiße, das würde Ärger geben.
Und ich konnte nichts weiter tun, als auf meinem gelähmten Arsch sitzen zu bleiben, während die Welt unterging.
23. Kapitel
Zumindest war es das, was ich sie glauben lassen wollte.
Die Wahrheit war, dass ich eine Chance hatte. In der Vergangenheit hatte ihr mit Weihwasser und Knoblauch versetzter
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