Böses Blut
über die Sache nach. Ich könnte Sie bitten, mit einer gewissen Instanz Kontakt aufzunehmen, aber ich weiß nicht. Es gibt Risiken.«
»Verstehen Sie überhaupt, daß Sie hier wegen zwanzig Morden und eines Mordversuchs sitzen? Daß Sie ein Verbrecher sind? Ein Feind der Menschheit? Ein Saboteur an der menschlichen Würde, die aufzubauen wir immerhin ein paar tausend Jahre gebraucht haben? Oder denken Sie, Sie könnten jederzeit einfach gehen? Warten Sie nur auf den richtigen Augenblick, um sich zu erheben, sich von den Handschellen zu befreien und mir den Kopf abzureißen?«
Jennings lächelte erneut, es war dieses Lächeln, das nie bis zu den Augen reichte.
»Menschen sollten aus anderen Menschen nie Mordmaschinen machen.«
Hjelm blickte Hultin an. Plötzlich fühlten sie sich bedroht. Es war tatsächlich nur eine kleine Handfessel, die sie von einer Mordmaschine trennte.
»Sie töten keine Polizisten«, sagte Hultin bombensicher.
»Ich wiege in jeder Situation plus und minus gegeneinander ab. Die Alternative mit den meisten Plus gewinnt. Hätte ich Ihren Kollegen dort getötet – er nickte zu Norlander hinüber –, würden Sie mich heute nicht so mild behandeln. Und dann hätten wir ein Problem bekommen.«
»Sie haben damit gerechnet, gefaßt zu werden? Sie scherzen!«
»Auf meiner Liste der Eventualitäten war das auf dem fünfzehnten Platz. Nach Nybergs Besuch sank es auf den siebzehnten. Deshalb war ich nicht richtig auf der Hut. Souveräne Aktion.«
Jennings schloß die Augen und wog plus und minus gegeneinander. Dann machte er eine extrem schnelle Bewegung und war aus den Handschellen.
Chavez hatte die Pistole als erster gezogen. Holm war zweite. Norlander dritter. Söderstedt zu lahm. Hultin und Hjelm saßen still.
»Gut reagiert da hinten in der Ecke«, sagte Jennings und zeigte auf Chavez. »Wie heißen Sie?«
Chavez und Norlander gingen mit erhobenen Pistolen vor. Hjelm zog seine zur Sicherheit. Alle drei hielten Jennings in Schach, während Holm und Söderstedt ihn wieder fesselten. Diesmal bedeutend fester.
»Ich habe einen Monat Ganztagstraining in Handfesselung hinter mir«, sagte Jennings ruhig. »Und ich meine Ganztag. Es ist gut, wenn wir einander verstehen.«
»Okay«, sagte Hjelm. »You've made your point. Wie sah denn die Plus– und Minusabwägung am 6. April 1983 aus?«
Jennings führte eine Schnellsuche durch seine Erinnerungsspeicher aus. Dann lächelte er schnell. Es ging vorüber. »Ich verstehe«, sagte er nur.
»Was verstehen Sie?«
»Daß Sie kein schlechter Polizist sind, Paul Hjelm, ganz und gar nicht.«
»Warum haben Sie diesen Brief an Ihre Frau geschrieben?«
»Schwäche«, sagte Jennings neutral. »Glattes Minuszeichen. Das letzte.«
»Und die Nyberg–Episode?«
»Wir werden sehen«, sagte er kryptisch.
»Wir fanden den Brief fast ganz verbrannt in Lamars Wohnung.«
»Haben Sie da meinen Namen gefunden?«
»Leider nicht. Dann läge Benny Lundberg jetzt nicht vor Grauen halb von Sinnen im Karolinenkrankenhaus. Warum haben Sie Ihren Namen geschrieben? Es bedeutete für Mary Beth wohl nichts, wie Sie sich nannten? Es war ja beinah infantil. Und dieser Brief trieb Lamar hierher und tötete ihn.«
»Es war ein Abschied von den letzten Resten meines persönlichen Lebens. Der Brief hätte auf der Stelle verbrannt werden sollen. Sie rächte sich dadurch, daß sie ihn nicht verbrannte.«
»Oder vielleicht wollte sie eine letzte Erinnerung an den Mann behalten, den sie einmal geliebt hatte, was ein Fehler war. Das nennt man menschliche Gefühle. Für Sie haben die nur andere, und Sie können sie ausnützen.«
»Es war ein letzter Abschied«, sagte Jennings nur.
»Dieser letzte Abschied brachte Ihre ganze Familie um. Er führte dazu, daß Ihr Sohn Ihnen folgte und von Ihnen getötet wurde, und er führte dazu, daß Ihre Frau sich das Leben nahm. Ein reizender Abschied.«
War es möglich, ihn zu verletzen? Er sah Hjelm an. Seine Augen waren wieder schmal geworden. Hatte er einen wunden Punkt getroffen?
»Hat sie sich das Leben genommen? Das wußte ich nicht.«
»Ihre Handlungen sind nie isoliert. Man bringt keine Menschen um, ohne daß es unüberblickbare Konsequenzen bekommt. Sie verbreiten Wolken von bösem, gewaltsamem Tod um sich her, begreifen Sie das wirklich nicht? Wissen Sie, wie viele Serienmörder von Ihnen inspiriert wurden? Sie haben einen Fanklub im Internet. Sie sind eine Scheiß–Legende. Es gibt K.–T–Shirts, kleine Kekse in Form eines K
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