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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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weiter.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja. Machen Sie weiter.«
    Söderstedt kehrte verlegen zum Sofa zurück und setzte sich. Jetzt hockte auch er auf der vorderen Kante. Er versuchte, schnell und richtig zu schalten: »Was haben Sie damit gemeint, daß Sie statt seiner hätten sterben sollen?«
    »Er war der glücklichere Mensch von uns beiden.«
    »Nur deshalb?«
    »Das ist nicht wenig. Die Welt hätte weniger verloren, wenn ich statt seiner gestorben wäre.«
    Söderstedt dachte an den haarfeinen Unterschied zwischen den Hochzeitsfotos auf den Schreibtischen der Eheleute und frohlockte insgeheim, weil er ins Schwarze getroffen hatte. »Können Sie das ein bißchen ausführen?«
    »Alles ging so leicht für Eric, er glitt sorglos durch die Welt. Ich tue das nicht. Überhaupt nicht. Mehr wollte ich gar nicht sagen.«
    Söderstedt hütete sich zu drängen; er war beunruhigt genug über ihren Zustand. Statt dessen fragte er: »Können Sie sich einen Grund vorstellen, warum er sich um halb drei Uhr nachts im Freihafen aufhielt?«
    »Absolut nicht. Ich glaube auch nicht daran. Er muß gezwungen worden sein.«
    Er wechselte schnell wieder die Spur, zielstrebig, aber auch verwirrt: »Wie ist die Situation in Saudi–Arabien zur Zeit?«
    Sie sah ihn verwundert an.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wie sieht es zum Beispiel mit dem Fundamentalismus aus?«
    Sie wirkte leicht mißtrauisch, antwortete aber professionell: »Es gibt ihn. Aber zur Zeit stellt er kein nennenswertes wirtschaftliches Hindernis dar. Er wird von den Regimen in Schach gehalten, oft mit ziemlich harten Mitteln.«
    »Was ist mit den Frauen? Gibt es nicht wieder häufiger Schleierzwang ?«
    »Sie dürfen nicht vergessen, daß der Fundamentalismus eine volksnahe Bewegung ist und daß das, was, mit westlichen Augen betrachtet, wie Zwang wirkt, nicht immer einer ist. Wir sind zu schnell dabei, anzunehmen, daß unsere Normen die allein selig machenden sind. Es gibt tatsächlich immer noch bedeutend mehr Menschen, die sich mit der linken Hand den Hintern abwischen, als solche, die mit der rechten Hand grüßen.«
    »Sicher«, sagte Söderstedt und nahm Anlauf. »Aber ist es nicht so, daß der Golfkrieg einen ganz anderen Effekt hatte als den beabsichtigten? Die Amerikaner haben sich auf Saddam Hussein eingestellt, der fast ein säkularisierter Diktator ist, haben hemmungslos Zivilisten ermordet, Frauen und Kinder, haben Saddam an der Macht gehalten, die Moslems zusammengeschweißt und in Saudi–Arabien wegen des Öls so viele Ressourcen zerstört, daß ein großer Teil des Geldes dem arabischen Fundamentalismus zugute kam. Saudi–Arabiens Fundamentalisten sind ja die reichsten und die am besten organisierten in der ganzen arabischen Welt, die Spinne in einem weltumfassenden Netz, und das in höhstem Maße mit amerikanischen Mitteln. Ist das nicht Ironie des Schicksals?«
    Justine Lindberger starrte den merkwürdigen, kreideweißen, feingliedrigen, finnlandschwedischen Polizeibeamten sprachlos an, der offenbar nichts dagegen hatte, freimütig seine politischen Theorien auszubreiten.
    Schließlich sagte sie bedächtig: »Vielleicht sollten Sie Politiker werden.«
    »Nein, danke«, sagte Arto Söderstedt.

21
     
    Zuerst der Regen, die nicht enden wollende Sintflut, das ewig trommelnde Dunkel, das jeden Funken von Klarheit ertränkte, die Nässe, die in jeden Winkel eindrang und alles verschimmeln ließ, Löcher fraß. Dann schnell bis zum Kern, bis zur Urquelle, ein bebendes, brüllendes Inferno, der Geburtsort der Sintflut, der eigentliche Ursprung der Fäulnis, ein tieferes Dunkel, unbegreiflich bis auf den Grund. Und dann hinaus auf der anderen Seite, zu Klarheit, Frieden, Licht, zum Überblick, der das frühere Dunkel so klein, entfernt und greifbar erscheinen ließ.
    Paul Hjelm wünschte sich, daß das Leben wie ein Flugzeug wäre, das bei Herbststurm abhebt.
    Oder daß zumindest dieser Fall so wäre.
    Die Sonne war so blendend wie die Dunkelheit für einen Schneeblinden. Sie beleuchtete die Oberseite der Wolkenmassen und ließ sie in einer Art renaissancehaftem Bronzeton glänzen. Wie bei Rembrandt.
    Er konnte sich von dem Farbenspiel nicht losreißen; er hatte es so lange vermißt. In Wirklichkeit hatte das Herbstunwetter nicht länger als ein paar Tage gedauert, aber die Wirklichkeit hatte nichts damit zu tun – der Regen hatte auf einen Schlag alles ausradiert, was an den Sommer denken ließ. Seine Erinnerung reichte ungefähr bis zur Ankunft des

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