Böses Blut
Kentuckymörders in Schweden zurück. Alles, was davor lag, war in Dunkel gehüllt.
Er hoffte, daß die sukzessive Begegnung mit der Sonne während der Flugstunden eine zeitlose Klarheit beinhalten würde; sie würden ungefähr zur gleichen Zeit landen, zu der sie gestartet waren. Wenn sie nicht abstürzten.
Er litt kaum unter Flugangst – dennoch bedeuteten die Sekunden, wenn die Beschleunigung nicht mehr zunahm und die Maschine vom Boden abhob, immer eine tiefe Erschütterung, als würde man sein Leben vorbehaltlos in die Hände eines Unbekannten übergeben.
Erst nach einer Viertelstunde selbstvergessener Faszination kam er überhaupt auf die Idee, sich Kerstin Holm zuzuwenden. Als er es schließlich tat, war sie immer noch da draußen. Er erkannte den Gesichtsausdruck, den er an sich selbst nie gesehen hatte, den er aber, wie er sich jetzt sagte, auch gehabt haben mußte. Erst als der Getränkewagen vorbeigeschoben wurde, wechselten sie einigermaßen normale Blicke. Aber Worte hatten sie noch lange nicht.
Hier hatte er gesessen, der Serienmörder, vielleicht genau auf diesem Platz, und hinausgestarrt, nicht in die blendende Sonne, sondern in das ebenso blendende Dunkel. Was hatte er gedacht? Was hatte er empfunden, erlebt? Er hatte gerade einen Menschen ermordet – was strömte durch seine verdunkelte Seele?
Und warum war er nach Schweden gekommen? Trotz allem lag dort die Lösung dieses eigentümlich unbegreiflichen Falls. Paul Hjelm versuchte, in groben Zügen zu rekapitulieren. Ende der siebziger Jahre beginnt ein Mann in Amerika, Menschen zu ermorden. Er tut es auf eine Weise, die an eine Foltermethode erinnert, die von einem Sonderkommando in Vietnam angewandt wurde: Es lief unter dem Codenamen Commando Cool. Die Opfer, zuerst achtzehn Personen in vier Jahren, sind zum großen Teil bis heute nicht identifiziert. Die meisten der Identifizierten sind Akademiker, sowohl Ausländer als auch Amerikaner. Das FBI konzentriert sich auf den Leiter der Spezialeinheit in Vietnam, Wayne Jennings, möglicherweise sucht man auch vergeblich nach dem unbekannten Befehlshaber des Commando Cool, der unter der Bezeichnung Balls läuft. Jennings stirbt bei einem Autounfall, nachdem sechzehn Morde begangen sind. Anschließend folgen noch zwei, dann gibt es ein Time–out von einem guten Jahrzehnt. Danach fängt es wieder an. Alles deutet darauf hin, daß es derselbe Täter ist. Jetzt bewegt er sich im Nordosten der USA, vor allem in New York. Und jetzt werden sämtliche Opfer identifiziert. Sie kommen aus völlig verschiedenen Milieus. Das Muster erscheint jetzt eher zufallsgesteuert. Nach dem sechsten Mord der neuen Runde, dem vierundzwanzigsten insgesamt, Opfer ist der Schwede Lars–Erik Hassel, verläßt er plötzlich das Land und kommt mit falschem Paß nach Stockholm. Dort nistet er sich in der abgeschiedenen Hütte des Drogendealers Andreas Gallano nördlich von Stockholm ein. Nach letzten Informationen ist sie vollkommen frei von Fingerabdrücken und Fasern, pedantisch gereinigt. Nach einer guten Woche verläßt er die Hütte in Gallanos Wagen und läßt den ermordeten Gallano zurück, der mit den Methoden umgebracht wurde, die der Serienmörder zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Wahrscheinlich verläßt er die Hütte bei Nacht und fährt zum Freihafen, um weitere zwei Menschen zu ermorden: den Angestellten im Außenministerium Eric Lindberger sowie wahrscheinlich einen bisher nicht identifizierten Vierundzwanzigjährigen. Lindberger wird auf die altbekannte Weise zu Tode gefoltert, während der Unbekannte, genannt John Doe, erschossen wird. Das ist der einzige bekannte Fall, in dem der Mörder von seiner gewohnten Methode abweicht und statt dessen eine Schußwaffe verwendet. Wahrscheinlich steigt er neopatriotisch vom Saab auf einen zehn Jahre alten dunkelblauen Volvo Kombi um, dessen Kennzeichen mit B beginnt. Seitdem hat er sich nicht bemerkbar gemacht.
Wie zum Teufel paßte das alles zusammen?
»Wie zum Teufel paßt das alles zusammen?« fragte Kerstin Holm. Das waren die ersten Worte, die zwischen ihnen fielen, seit sie in Arlanda mit Kurs auf New York gestartet waren. Sie waren offensichtlich auf einer Wellenlänge.
»Ich weiß es nicht«, sagte Paul Hjelm.
Dann war es still.
Die Sonne schien blind und scheinbar jahreszeitenlos vor der vibrierenden Plexiglasscheibe des Flugzeugfensters; es hätte ebensogut eine Winter– wie eine Sommersonne sein können – und es war eine Herbstsonne. Sie befanden
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