Böses Blut
Golf. Es ist unbegreiflich, fürchterlich. Wurde er – gefoltert?«
»Ich fürchte, ja«, sagte Söderstedt und fand, daß sein mitleidiger Ton falsch klang. Er wechselte zu einem etwas barscheren: »Ich muß Sie wohl nicht daran erinnern, wie wichtig es ist, daß wir diesen Mörder erwischen? Gibt es noch etwas, an das Sie sich erinnern, dienstlich oder privat, das von Bedeutung sein könnte? Die geringste Kleinigkeit kann wichtig sein.«
Es gelang Wahlberg, seine Trauer hinter die Maske des wahren Diplomaten zu schaufeln. Er schien nachzudenken. »Mir fällt nichts ein. Privat waren sie wohl das einzige wirklich glückliche Paar, das ich überhaupt kenne. Es gab eine natürliche Zusammengehörigkeit zwischen ihnen. Ich habe keine eigenen Kinder, und ich werde ihn vermissen, wie man einen Sohn vermißt. Ich werde sein Lachen vermissen, seine natürliche Integrität, seine bescheidene Ruhe. Scheiße.«
»Fällt Ihnen ein Grund dafür ein, warum er sich um halb drei Uhr nachts im Freihafen aufhielt?«
»Nein. Das klingt völlig verrückt. Er hat kaum mal freitags nach der Arbeit allein ein Bier getrunken. Wollte immer direkt nach Hause zu Justine.«
»Ich müßte mir mal sein Büro ansehen. Und wenn Sie dafür sorgen könnten, daß alle seine Computerdateien kopiert und an mich geschickt werden, wäre ich Ihnen besonders dankbar.«
Anders Wahlberg nickte stumm und erhob sich. Er ging auf den Flur und wanderte schwerfällig ein paar Türen weiter in Richtung Treppe. Dann hielt er inne, zeigte auf eine Tür und wandte sich ab. Söderstedt sah der schweren Gestalt nach, bis sie wieder in ihrem Trauerraum verschwunden war. Er trat ein paar Schritte zur Seite. Rechts neben Eric Lindbergers Büro war Justines. Die Eheleute hatten buchstäblich nebeneinander gelebt und gearbeitet. Er betrat Erics Büro.
Es war kleiner als Wahlbergs, hatte kein Vorzimmer, und die Aussicht war nicht Strömmen, sondern die Fredsgata. Eine Tür führte ins Zimmer seiner Frau. Söderstedt stellte fest, daß sie unverschlossen war.
Er verschaffte sich einen schnellen Überblick über den Schreibtisch. Ein mäßiges Durcheinander, nicht mehr. Ein Hochzeitsfoto mit einer sehr jungen dunkelhaarigen Justine und einem etwas älteren, aber ebenso dunkelhaarigen Eric. Sie lächelten das gleiche breite Lächeln, und es schien nicht im geringsten so aufgesetzt wie das Genre es nahelegt, eher professionell eingeübt, und dennoch natürlich. Das glückliche Paar machte den Eindruck, als gehöre es von Geburt an und aus nie in Frage gestellter Gewohnheit dem höheren Bürgertum an, mit voller Kontrolle über alle gebührende Etikette. Keiner von beiden sah aus, als habe er besonders hart für seine Karriere kämpfen müssen, sondern beide wirkten wie die geborenen Diplomaten.
Obwohl er vielleicht zu weitreichende Schlüsse aus einem Standardfoto zog.
Außerdem fand er überall verstreute Aufzeichnungen, auf offiziellem Briefpapier des Ministeriums ebenso wie auf gelben Merkzetteln und in einem Terminkalender von der dickeren Sorte. Söderstedt suchte den korrekten Begriff – irgend etwas mit »fax«, Filofax, hieß es nicht so? Jedenfalls sammelte er alles zusammen, stopfte es in seine Aktentasche, öffnete die Zwischentür und begab sich in Justines Zimmer. Es war so gut wie identisch mit dem ihres Mannes.
Er inspizierte auch ihren Schreibtisch, den das gleiche Hochzeitsfoto zierte – oder eher ein anderes aus derselben Serie. Beider Lächeln war hier etwas schwächer, etwas weniger selbstgefällig; eine vage Unruhe schwebte über ihnen, eine Störung. Der kleine Unterschied zwischen den Fotos sprach Söderstedts extrem gutentwickelten Sinn für Nuancen an.
Wie bei ihrem Mann, so lagen auch hier auf diverse Papiere gekritzelte Notizen auf dem Tisch und in den Schubladen, in denen er herumwühlte, obwohl das kaum als legal zu bezeichnen war. Er schrieb die zum Teil kryptischen Aufzeichnungen ab und zog ein dem von Eric gleichendes Filofax aus einer Schreibtischschublade. Er sah sich weiter im Raum um. In einer Ecke fand er, was er suchte: einen Minikopierer. Er kopierte etwas nervös den Terminkalender für den letzten und den nächsten Monat; das sollte reichen. Er packte die Kopien und die Abschriften zu dem schon beschlagnahmten Material in die Aktentasche und legte Justine Lindbergers Terminplaner wieder dorthin, wo er ihn gefunden hatte. Dann kehrte er ins Zimmer von Eric Lindberger zurück, trat auf den Korridor und trabte die Treppe
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