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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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dem Kopf.
    Aber Ravi meldete sich nicht. Und ich konnte ihn nicht treffen, denn zu den Hofpausen ging ich ja nicht mehr.
    Auf meinem Handy sammelte sich immer neuer Schmutz an. Manchmal dachte ich, dass tatsächlich fast die ganze Klasse an diesem Mobbing beteiligt war, weil sich einer allein oder zwei, oder drei Leute so viele Gemeinheiten gar nicht ausdenken konnten. Wenn ich im Unterricht so tat, als hörte ich den Ausführungen der Lehrer zu, »bohrte« ich meine Augen geradezu in die Hinterköpfe meiner Mitschüler, als wolle ich in ihrem Gehirn nachgucken, was sie über mich dachten.
    Die SMS, die ich bekam, waren nicht zu ertragen. Sie machten mich jeden Tag kranker.
    Ich musste aber durch all diesen Dreck hindurch, wenn ich wissen wollte, ob Ravi mir eine Nachricht geschickt hatte. Ich kam mir vor, als würde ich gezwungen, Kot zu fressen.
    Ich übergab mich fast jeden Nachmittag, wenn ich zu
Hause ankam. Mir wurde übel, wenn ich mich im Spiegel betrachtete.
    Ich wusste, dass ich elend aussah, meine Haare waren stumpf, und selbst wenn ich mir Lockenwickler eindrehte, hingen sie Stunden später wieder schlaff herunter. Ich hatte tiefe Augenränder und meine Lippen (auf denen ich aus Nervosität ständig herumkaute) sprangen auf und bluteten, auch wenn ich sie mit Vaseline eincremte. Sobald ich dann auf etwas Saures biss, brannte es höllisch und trieb mir die Tränen in die Augen. Ich glaube, so sehen Leute aus, von denen man sagt, sie seien nur noch ein Schatten ihrer selbst.
    Ich ging auch weiterhin nicht mehr in den Speisesaal, jetzt vor allem aus Angst, dass Ravi sich wegdrehen würde, wenn er mich sah. Ich wusste, dass ich damit nicht fertig werden würde. Lieber verzichtete ich auf warmes Essen.
    Meine Mutter hatte von all dem keine Ahnung.
    Natürlich fiel ihr auf, dass ich immer dünner wurde. Die Hosen, die mir im März noch gepasst hatten, schlotterten mir um die Hüften. Erst dachte sie, ich sei auf einer Diät, dann machte sie sich Sorgen, weil sie glaubte, ich würde magersüchtig werden. Aber ich sagte ihr: »Mir geht es gut, mir fehlt nichts. Sei doch froh, dass ich nicht so fett bin.«
    »Du und fett!«, entgegnete meine Mutter dann, »du hast doch immer eine Superfigur gehabt.«
    »Was ist die Steigerung von super?«, fragte ich. »Das ist mein Ziel: Supersuper. Megasuper. Maxisuper.« Ich lachte.
    Ich lachte und dachte mir schnell etwas aus, irgendetwas aus dem Unterricht, das witzig klang.
    Ich log ihr ständig etwas vor. Das schaffte ich immerhin noch, dass ich meine Mutter aus allem heraushalten konnte. Und sie beruhigte sich auch jedes Mal wieder.

    Aber es war so, dass mein Magen wie abgeriegelt war und ich überhaupt nie Hunger verspürte, so wie mein ganzer Körper mir fremd und fremder wurde.

    Wieder ein neues »Bild« von mir im Chatroom. Eigentlich war es kein wirkliches Bild von mir. Man sah nur eine feuchte Fensterscheibe, wie mit Seifenlauge überzogen, und eine breite, rote Zunge, die die Scheibe ableckte. Darunter stand: »Svetlana hilft ihrer Mutter beim Fensterputzen.«
    Zwei Tage später tauchte das Foto einer Klobürste auf und daneben mein Kopf. Darunter stand: »Was haben Svetlana und eine Klobürste gemeinsam? Antwort: Kein Junge fasst sie an.«
    Manchmal stand ich vor dem Spiegel und dachte: Wer ist diese hässliche Fremde? Was macht sie hier in unserem Badezimmer?
    Einmal hab ich mein Spiegelbild angesehen und laut geschrien: »Hau ab! Ich hasse dich!«
    Das war in einem Augenblick, als meine Mutter nach Hause kam. Sie stürzte ins Bad, weil sie glaubte, irgendein Kampf würde da stattfinden.
    »Was machst du«, fragte sie fassungslos.
    Es gelang mir, mich wieder einzukriegen. Ich lachte.
    »Wir üben ein Theaterstück ein«, sagte ich.
    Meine Mutter strahlte. »Ihr spielt Theater?.«
    »Ja«, sagte ich. »Und ich hab eine Rolle.«
    »Oh, herrlich, Svetlana. Ich hab unsere Theatergruppe an der Schule auch immer geliebt. Wie heißt das Stück?«
    Wir lasen in Deutsch gerade »Leonce und Lena« von Georg Büchner. Also sagte ich: »Leonce und Lena.« Und damit konnte ich Mama noch glücklicher machen. Denn offenbar
kannte sie das Stück ganz genau, sie wollte mich sofort in eine Diskussion verwickeln. Aber dazu war ich einfach nicht in der Lage.
    Ich tat, als habe ich gerade meine Tage bekommen und müsse nun dringend das Bad für mich alleine haben. -
    Ein paar Tage später war meine Mutter schon zu Hause, als ich aus der Schule kam. Sie war fröhlich, sie hatte ein

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