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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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Essen für uns beide vorbereitet, ich glaube, es war ein Brathähnchen, so wie ich es gerne mag, mit Rosmarinkartoffeln. Sie trank sogar ein Glas Wein. »Zur Feier des Tages«, wie sie sagte. Denn Mama hatte ihre Arbeit im Internat gekündigt, weil sie etwas Besseres in Aussicht hatte: Sie würde in der Speditionsfirma, in der mein Vater angestellt war, demnächst einen Bürojob bekommen. Dazu gehörte es, die russische Korrespondenz zu übersetzen und bei Gesprächen mit den Geschäftspartnern zu dolmetschen. Das war natürlich zehn Klassen besser als zu putzen, es wurde aber nicht viel besser bezahlt. Dennoch war Mama selig.
    Und sie erwartete bestimmt, dass auch ich einen Freudensprung machen würde, denn sie wusste ja, wie schwierig diese Zeit für mich gewesen war. Aber ich war schon zu fertig, zu kaputt, um noch irgendeinen Freudensprung zu machen. Ich legte ihr nur meine Arme um den Hals und gab ihr einen Kuss.
    Mama hielt mich fest. »Geht es dir auch gut, Kätzchen?«, fragte sie.
    »Mir ging es nie besser«, log ich. Meine Stimme schwankte.
    »Wirklich? Ich mach mir Sorgen um dich«, sagte Mama.
    Das trieb mir schon fast die Tränen in die Augen. Ich war in einer so labilen Verfassung, dass ich bei jeder Kleinigkeit
hätte anfangen können zu heulen. Aber ich beherrschte mich und stahl mich in mein Zimmer. Vielleicht gab es endlich eine Nachricht von Ravi.

    Noch immer war da die Einladung für den Abend mit ihm und seinem Vater, und natürlich war ich ängstlich, ob es dabei bleiben würde. Ich hatte mir einen superengen Rock »besorgt«, ich wollte total schön aussehen, so wie die Mädchen auf dem Maifest eben, die alle um Ravis Vater herumgestrichen waren …
    Nach wie vor lagerte ich die gestohlenen Sachen in der alten Futterkiste in dem Heuschober, auch ein Parfum von Gucci, das ich in einer Drogerie hatte mitgehen lassen.
    Ich hatte tatsächlich einen Spiegel organisiert, einen kleinen Spiegel, in dem ich mich betrachten konnte.
    Ich hatte Kamm und Bürste da, Deoroller, Kleenex und ein kleines Make-up-Set. Alles in der Kiste unter einer alten Pferdedecke. Der Schober war so eine Art Umkleidezimmer, das ich dort hatte, auf dem Weg zwischen zu Hause und der Schule.
    Was ich nicht wusste: Die Leute aus meiner Klasse kannten längst das Versteck. Ich weiß nicht, ob jemand mir nachspioniert hatte oder ob sie durch Zufall darauf gekommen waren.
    Ich weiß nur, ich hatte nie gesehen, dass mir jemand folgte, und nie hatte ich irgendein verdächtiges Geräusch gehört. Aber es gab Fotos von mir in diesem Heuschuber.
    Er war ja ein windschiefes, altes Holzding, und hatte überall Löcher, durch die der Wind pfiff. Es war kein Problem, dort irgendwo eine Kamera oder ein Handy davor zu halten. Wenn die Sonne schien, malten sich drinnen dicke Lichtstreifen
auf die alten Heuballen, und es wurde ganz hell, hell genug für ein paar Aufnahmen - ohne Blitzlicht, das ich vielleicht gesehen hätte.
    Das Heu strömte einen gemütlichen Geruch aus. Ich fühlte mich geradezu wohl hier, es war fast wie ein zweites Zuhause. Ich blieb immer länger, probierte meine neuen Klamotten an, probierte neue Frisuren und versuchte, mir einzureden, dass ich schön wäre. Hatte Ravi nicht gesagt: Du bist schön? Selbst wenn er es nicht ehrlich meinte (was ich zumeist glaubte), hatte er es gesagt, und der Satz war in der Welt. Ein Mensch hatte zu mir gesagt: Du bist schön. Irgendwie hielt dieser Satz mich am Leben. Es war verrückt.
    In dem Heuschober ging es mir hundertmal besser als daheim. Hier stand kein Computer, der mich wie eine böse Hexe lockte. Und ich fühlte mich auch hundertmal besser als in der Schule. Hier gab es niemanden, der mir komische Blicke zuwarf, niemanden, der hinter meinem Rücken über mich lästerte, keine Mädchen, die die Köpfe zusammensteckten und tuschelten und sofort schwiegen, wenn ich näher kam.
    Der Heuschober - er war wie ein Zwischenreich für mich, ein nicht reales Reich, das wusste ich, es war ein geborgtes Leben, was ich da führte. Ich redete mir manchmal ein, ich sei eine Figur aus einem Märchen oder aus einem Film, ich dachte mir Szenen aus, warum ein junges Mädchen sich in einem Versteck wie diesem umziehen muss, eine Aschenputtelgeschichte, die natürlich so endete, dass der Prinz sich in das Aschenputtel verliebte.
    Ich glaube, nur weil ich diesen Zufluchtsort für mich hatte, konnte ich überhaupt so lange durchhalten.

    Endlich rief Ravi an. Es war der Tag, an dem wir zum Essen

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