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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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funktionieren.
    Also sagte ich nur: »Schon gut. Vergesst es.«
    Ich sah, wie Naddel und Felicitas noch miteinander tuschelten, wie Tilly mit Simon sprach und Annika mit Lennart, und wie sie immer wieder alle in meine Richtung schauten, auch noch während der ganzen nächsten Stunde, in der wir Französisch hatten.
    Ich stand das alles durch.
    In den Hofpausen versteckte ich mich in der Bibliothek (auch in der Essenpause), an diesem Tag und an den folgenden. Ich muss sagen, der Erlenhof hat eine fabelhafte Bibliothek. Wenn in Zeitschriften wie dem »Spiegel« oder im »Stern« ein Buch besonders positiv besprochen wurde, war es eine Woche später hier in der Rubrik »Neuerscheinungen«
zu finden. Das war fantastisch. Die Bibliothekarin, Frau von Arnim, kümmerte sich rührend um alles und empfing mich immer mit einem strahlenden Lächeln, wenn es eine interessante neue Lektüre für mich gab. Das Gymnasium hat ein paar spendable Gönner, die zum Beispiel auch Buchkäufe finanzieren. (So einen privaten Gönner könnte ich auch gebrauchen. Aber egal, irgendwie werde ich es schon schaffen, mir später meine eigene Bibliothek anzulegen …)
    Ich suchte mir an dem Tag einen Gedichtband heraus, in den ich mich vertiefte. Ich hatte für mich erfahren, dass Gedichte mir manchmal auf wunderbare Weise halfen, mich zu beruhigen.
    Wahrscheinlich war ich die Einzige am ganzen Gymnasium, die freiwillig Gedichte las. Von Sarah Kirsch. Rainer Kunze. Rose Ausländer.
    Lauter schöne Sätze und Gedanken, die wie Salbe auf meiner verwundeten Seele waren.
    Erst wenn es zum zweiten Mal zur nächsten Stunde geklingelt hatte, verließ ich die Bibliothek. Ich weiß, dass Frau von Arnim mich oft nachdenklich ansah. Manchmal fragte sie mich: »Und? Geht’s dir gut, Svetlana?« Vielleicht hätte ich mit ihr reden sollen, vielleicht spürte sie etwas.
    Aber ich war schon zu krank.
    Ich konnte kein Vertrauen zu ihr fassen.

    Ich machte mir daheim kein Mittagessen, eine Scheibe Brot. musste reichen. Ich hörte auf, an Dinge wie Essen und Trinken zu denken.
    Ich konnte mich auch auf die Schularbeiten immer weniger konzentrieren, bei schwierigen Texten verschwamm alles
vor meinen Augen und drehte sich. Ich musste mich hinlegen und warten, bis der Schwächeanfall vorbei war. Oft dauerte das und ich stand erst auf, kurz bevor meine Mutter nach Hause kam. Wenn sie mich fragte, was ich gemacht hatte, log ich ihr irgendetwas vor, das Lügen machte mir auch nichts mehr aus. Ich konnte inzwischen lügen ohne rot zu werden, ohne eine Miene zu verziehen. Es war meine zweite Natur geworden.
    Mama schaute mich manchmal sehr merkwürdig forschend an, manchmal strich sie mir übers Haar (aber meine Haare waren immer »elektrisch«, und ich reagierte auf diese Zärtlichkeit so, als hätte sie mich geschlagen). Sie war besorgt, das fühlte ich, aber das half mir kein bisschen. Ich konnte ihr doch nicht sagen, was wirklich los war. Ich musste sie davor schützen. Ich musste meine Familie davor schützen, dass der Terror, den diese Leute in der Schule verübten, auf sie übergriff.
    Sie bekam natürlich mit, dass ich niemals eingeladen wurde zu den Partys, die im Erlenhof stattfanden, und darüber machte sie sich wohl ihre eigenen Gedanken. Aber mir gegenüber erwähnte sie das nie. Es war irgendwie, als wolle sie mich vergessen machen, dass sie an meiner Schule arbeitete. Als sollte ich mich damit nicht belasten. Aber das ist mir alles erst jetzt klar, damals war ich so mit mir selbst beschäftigt, dass ich mir über das Verhalten meiner Mutter keinen großen Kopf gemacht hab.
    Wenn sie mich fragte, ob ich Probleme hätte, lachte ich nur und schüttelte tapfer den Kopf.
    Ich schaute schnell weg, wenn sie so etwas fragte. Ich hätte es nicht geschafft, sie fest anzusehen.
    Ich fühlte mich wie jemand, der gefoltert wird, ohne zu
begreifen, was die Folterknechte eigentlich wissen wollen. Was sie ihm, dem Delinquenten, vorwerfen. Ich fühlte mich wie eine zum Tode Verurteilte, die nur das Datum ihrer Hinrichtung noch nicht kennt. Und die nicht weiß, warum sie sterben soll.

    Ich checkte inzwischen mein Handy jede halbe Stunde.
    Ich wartete auf eine Nachricht von Ravi, auf eine SMS von ihm. Seit unserem Treffen in der Stadt und dem Telefonat über das Foto vom Maifest hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Ich wartete voller Ungeduld. Ich wollte wissen, was er dachte. Was er über mich dachte. Sein Wort: »Irgendwie werde ich dir helfen!« ging mir nicht aus

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