Boeses Spiel
vom Schweiß. Ich wusste, die Luft war zum Zerreißen gespannt. Ich wusste, dass im nächsten Augenblick etwas passieren würde. Keine Ahnung wieso, aber ich wusste es einfach. Deshalb wunderte ich mich auch nicht, als Frau Hartmann plötzlich im Raum stand und leise mit unserem Lehrer sprach. Der nickte. Und obwohl er mich nicht ansah und auch Frau Hartmann nicht, wusste ich, dass sie über mich sprachen.
Ich rieb verstohlen mit einem Papiertaschentuch den Schweiß aus meinen Kniekehlen. Wartete auf das, was kam.
Dann ging Frau Hartmann. Dr. Jäckel schaute mich an und sagte: »Svetlana, der Direktor erwartet dich in seinem Büro.«
Ich stand auf, meine Beine zitterten. Ich hörte, wie alles um mich herum tuschelte und flüsterte.
Dr. Jäckel lächelte. »Ich hoffe, es dauert nicht allzu lange, du kommst dann bitte gleich zurück, ja? Denn wir haben heute eine spannende Aufgabe zu lösen.«
Ich nickte nur. Ich hörte gar nicht mehr richtig zu.
Nie werde ich diesen Gang in das Büro des Direktors vergessen. Meine Schritte auf dem Linoleum, dieses leichte Quietschen der Gummisohle. Ich trug meine teuren Turnschuhe. Das Quietschen hallte von allen Seiten der Flurwände zurück. Es war das einzige Geräusch in einer absoluten Stille.
Es war mir, als würde ich durch einen Tunnel gehen, der diese Welt von der anderen Welt trennte, in die ich gleich eintreten würde.
Ich musste an »Dead Man Walking« denken, den Film von einem Mann, der zum Tode verurteilt war. Der zu seiner Hinrichtung ging.
Aber der war wenigstens nicht allein, zwei Leute begleiteten ihn und die waren irgendwie mitfühlend. Oder verlegen. Ja, sie waren verlegen, denn sie fühlten sich schuldig, weil sie dieses Todesurteil nicht verhindert hatten. Weil sie in einer Gesellschaft lebten, in der so etwas passierte. Dass ein Menschenleben nichts mehr wert war.
Dass ein Mensch nichts besaß, das wert war, ihn am Leben zu lassen.
Ich hatte niemanden bei mir, der sich schuldig fühlte oder der mir die Hand auf die Schulter legte. Der etwas Beruhigendes oder Tröstendes zu mir sagte.
Ich ging wie aufgezogen, meine Füße bewegten sich, ohne dass ich ihnen den Befehl dazu gab.
Sie wussten es. Sie wussten alles. So dachte ich.
Frau Hartmann im Vorzimmer erhob sich von ihrem Schreibtisch. Sie lächelte mich an. Ihre Stimme war warm und sanft, irgendwie mitfühlend.
»Sie warten schon auf dich.«
Ich nickte. Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen.
»Kopf hoch«, sagte sie. »Es wird wieder.«
»Ja«, erwiderte ich, obgleich ich das Gegenteil dachte.
Dann öffnete Frau Hartmann die Tür und schob mich in den Raum.
Dr. Simonis war da und unser Direktor. Sie standen beide an dem großen Schreibtisch und schauten auf den Computer.
Als ich eintrat, hoben sie den Kopf.
»Guten Tag!«, grüßte der Direktor freundlich. »Da ist ja unsere liebe Svetlana!«
Er kam um den Tisch herum und streckte beide Hände nach mir aus.
Dr. Simonis blieb an seinem Platz, er nickte mir ernst zu, dann versuchte er ein Lächeln, doch es gelang ihm nicht recht.
Ich dachte. Was geht hier ab? Was ist los?
Der Direktor nahm mich in die Arme. Ich stand ganz steif. In meinem Kopf vibrierte es.
Was wollen die von mir?, dachte ich.
»Wie gut, dass alles ans Licht kommt«, sagte der Direktor, nun ebenfalls ernst, als er mich wieder losließ.
»Wenn Ravi nicht wäre...« Dr. Simonis räusperte sich.
Und dann erst sah ich Ravi.
Ich weiß nicht, wieso ich ihn nicht gleich entdeckt hatte, denn er trug wieder so ein strahlend weißes Hemd und helle Hosen. Vor dem dunklen Bücherregal leuchtete er richtig. Wieso hatte ich ihn nicht gesehen?
»Hallo«, sagte ich zaghaft. Ich war wie ein Stock. Ich spürte, wie meine Augenlider heftig zuckten, ich bekam sie nicht unter Kontrolle.
»Svetlana...«, sagte Dr. Simonis warm.
»Unsere liebe Svetlana«, sagte der Direktor, als er wieder hinter den Schreibtisch trat. »Die Schülerin, auf die wir alle so stolz sind.«
Na ja, dachte ich. Stolz. Das habe ich nicht bemerkt.
Ravi sagte nichts. Er wirkte verlegen. Und angespannt.
Dann ging es los. Der Direktor sagte: »Ravi hat uns die Augen geöffnet.«
»Wir sind erschüttert«, fügte Dr. Simonis hinzu. »Ich kann nicht beschreiben, was ich empfinde.«
»Es ist unfassbar und unverzeihlich«, nahm der Direktor das Wort wieder auf, »wir werden auf jeden Fall Maßnahmen ergreifen.«
»Du musst uns alles sagen, was du weißt!« Wieder Dr. Simonis. »Unsere Schule darf ihren
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