Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
Vom Netzwerk:
daheimbleiben. Die Erlenhof-Direktion hatte ihr großzügig die Kündigungsfrist erlassen.)
    Kaum saß ich am Tisch, wollte sie wissen, welche Stunden ich an dem Tag hatte, das konnte ich auswendig hersagen.
    Es ist toll, wenn man Eltern hat, die sich für die Schule ernsthaft interessieren. Aber an dem Tag fand ich es nicht toll.
    Wir hatten unter anderem Französisch, da behandelten wir gerade den Konjunktiv (subjonctif, ein irres Wort), aber mir fiel nicht mal die einfachste Vokabel ein, als meine Mutter begann, mich abzufragen.
    »Petit déjeuner«, sagte sie.
    »Keine Ahnung«, erwiderte ich.
    »Das wusstest du doch schon in der ersten Klasse Französisch.«, rief Mama. »Petit déjeuner. Frühstück.«
    »Ach ja«, sagte ich, »jetzt fällt’s mir wieder ein.«
    Sie warf mir nur einen kurzen Blick zu.
    »Butter«, machte sie weiter.
    Okay, das wusste ich: »Beurre.«
    »Gut, aber es heißt: du beurre.«
    »Na gut«, knurrte ich.
    »Sag noch mal!«
    »Du beurre.«
    »Wie sagt man auf Französisch: Gibt es frisches Brot?«
    »Keine Ahnung.«
    »Y a-t’il du pain frais?«, erwiderte meine Mutter und lächelte mir zu. »Achte auf die Wortstellung in einem Fragesatz. Das ist sehr spannend.«

    Da nahm ich ihr das Buch aus der Hand, klappte es zu und steckte es in meinen Rucksack.
    »Y a-t’il du pain frais?«
    »Nein!«, schnaubte ich.
    »Und wenn es nicht als Frage formuliert ist, heißt es: Il y a du pain frais.«
    »Meinetwegen.«
    »Und was heißt nun: Ich hätte gerne gewusst, ob es frisches Brot gibt?«
    »Mensch, Mama! Ist doch egal!«
    »Ist es nicht. Das ist der subjonctif.«
    »Ja, von mir aus.«
    »Der wird im Französischen viel benutzt! Das üben die Lehrer nicht mit euch, um euch zu ärgern!«
    Sie folgte mir bis an die Haustür. »Hoffentlich schreibt ihr heute keinen Test«, meinte sie. »Du hättest dich besser vorbereiten sollen.«
    Ich war sauer. Ich hasste es, wenn meine Mutter mich dabei erwischte, dass ich nicht Bescheid wusste.
    »Dann verhau ich die Arbeit eben.«
    »Macht dir Französisch keinen Spaß?«, fragte sie erstaunt. »So eine herrliche Sprache! So ein schönes Land! Weißt du, wo ich gerne einmal Urlaub machen würde? An der Côte d’Azur. Am Mittelmeer.«
    »Mama! Ich muss los.«
    Sie lehnte über dem Treppengeländer, als ich die Stufen herunterschlurfte.
    »Y a-t’il du pain frais?«, rief sie mir nach. »An die Wortstellung denken!«
    So ist meine Mama. Sie gibt nie auf.
    Ich schlug die Haustür hinter mir zu.
Ich schwänzte also den Unterricht und vor mir lag ein endlos langer Vormittag, den ich irgendwie rumbringen musste. Ich wusste nicht wirklich, wie man ohne Geld die Zeit totschlägt, und das immer in der Angst, jemanden zu treffen, der meiner Mutter etwas sagen könnte.
    Etwa: »Ich hab Svetlana heute vor dem Supermarkt gesehen.«
    Oder: »Deine Tochter ist aber dünn geworden. Sie ist mir am Bahnhof über den Weg gelaufen.«
    Ich bin raus aus dem Dorf, die Feldwege entlang, durch Wiesen und dann in den kleinen Wald. Da hab ich das Rad hingeworfen und mich ins Gras gelegt und in den Himmel geguckt.
    Das Gras war feucht, aber das fiel mir erst auf, als mein Rücken langsam kalt wurde. Doch das war mir egal. Ich lag da und sah, wie die Wolken an den Baumwipfeln vorbeizogen, mal dickere Wolken, mal dünnere, und hin und wieder traf mich ein Sonnenstrahl. Dann kniff ich die Augen zusammen, weil die Helligkeit mir wehtat.
    Ich weiß nicht, ob ich an irgendwas dachte.
    Ich glaube nicht.
    Alle Gedanken waren ausgeschaltet. Wie bei einem Computer: toter Bildschirm.
    Manchmal knarrte ein Baum, manchmal zwitscherte ein Vogel. In der Ferne war der Bahnhof. Weil der Wind günstig stand, konnte ich die Lautsprecheransagen hören.
    »Achtung, es hat Einfahrt der Regionalexpress von Kiel nach Flensburg. Bitte von der Bahnsteigkante zurücktreten.«
    Danach wurde die Durchfahrt eines ICE bekannt gegeben und dann die eines Güterzuges. Diese Güterzüge machen
einen enormen Krach, die Streckenführung ging nahe an dem Wäldchen vorbei und der Boden unter mir zitterte leicht.
    In der Schule nahmen sie jetzt gerade den neuen Text durch: »Si Madame Bouchard aurait preparé son petit déjeuner.«
    So ein Quatsch, dachte ich, ich komme sowieso nie nach Frankreich, warum soll ich das lernen.
    Ich komme nie mehr irgendwohin. Schon gar nicht nach Frankreich.
    Ich will auch kein Frühstück mehr. Was heißt Frühstück eigentlich auf Englisch?
    Mein Kopf war wie in Watte gepackt. Ich

Weitere Kostenlose Bücher