Bold, Emely
kommen.“
Damit war ich entlassen und er begann geschäftig seine Tasche zu packen, wobei er mich geflissentlich ignorierte. Mit hängenden Schultern schlurfte ich nach Hause.
„Schottland? Ihr wollt mich nach Schottland schicken? Nach Europa?“
Ich war wirklich überrascht.
Meine Mom hatte das Wort ergriffen und mein Vater stand hinter mir, seine Arme auf meiner Stuhllehne, wie um mich an der Flucht zu hindern.
„Mister Schneider bietet dir den Ferienaustausch an, weil er davon überzeugt ist, du würdest dieses Angebot zu schätzen wissen. Er hält dich für klug und möchte deinen Blick auf deine Schwächen richten.“
Anscheinend hatte der Lehrer bei Mom eine Gehirnwäsche vorgenommen, denn sie würde sonst nicht so geschwollen reden.
„Ich weiß doch, wo meine Schwächen liegen!“, widersprach ich.
„Sam. Überleg doch erst einmal, bevor du Nein sagst. Wir haben gesagt, wir sprechen mit dir und entscheiden uns dann am Freitag. Denk jetzt erst mal darüber nach.“
Schottland also. Ich lag in meinem Bett und grübelte. Kim war super verliebt und verbrachte jeden Tag mit Justin. Ein baldiges Ende dieser Beziehung war nicht abzusehen. Ryan hatte überall herum erzählt, ich sei prüde und zickig. Meine Lieblingscousine Ashley würde kommen, um dem armen Ryan Trost in ihren Armen zu spenden und dann in meinem Zimmer schlafen. Meine Ferien würden also vermutlich ein niemals enden wollender Albtraum werden.
Dem entgegen stand nun der Vorschlag meines Lehrers. Sein Kollege, ein gewisser Roy Leary, würde in den Ferien einen Schüler bei sich zuhause aufnehmen. Mister Schneider würde im Gegenzug einen Jungen aus Schottland betreuen. Jetzt hoffte er, mein Interesse für Erdkunde und Geschichte würde geweckt werden, wenn ich etwas mehr von der Welt gesehen hätte. Besonders da Schottland eine sehr bewegte und interessante Geschichte vorzuweisen hatte, wie er mir versicherte. Meine Eltern stimmten dem Vorschlag zu und wären etwas weniger sauer auf mich, wenn ich den Anschein erwecken würde, als täte ich alles, um mich schulisch zu verbessern.
Eigentlich war die Entscheidung doch gar nicht so schwer.
Am Freitag erklärte ich Mister Schneider, ich würde mich sehr freuen, meine Ferien in Schottland zu verbringen. Er war begeistert und ich war zumindest nicht unglücklich mit diesem Arrangement.
Kapitel 2
Panisch schreckte ich aus dem Schlaf.
Der Stoff des Sitzes, in den ich mein Gesicht gedrückt hatte, roch nach alter Synthetikfaser. Ich stellte den Sitz auf und schob die Jalousie hoch. Der lange Transatlantikflug von New York nach London lag hinter mir. Ich befand mich nun auf dem Weg von London nach Glasgow, wo wir vermutlich in wenigen Minuten landen würden. Von dort würde ich den Weg in die schottischen Highlands mit dem Bus antreten. Seit beinahe achtzehn Stunden war ich auf den Beinen und das kurze Nickerchen eben war alles, was ich an Schlaf gefunden hatte. Dabei war dieses Schläfchen alles andere als entspannend gewesen. Allzu deutlich stand mir der schreckliche Traum noch vor Augen.
Ich rannte. Ich rannte so schnell ich konnte, der Boden unter meinen Füßen war steinig und nass. Die Berge hinter mir bildeten einen natürlichen Kessel und vor mir erstreckte sich das Ufer eines grauen Gewässers. Die Wellen schlugen gegen die Felsen, und weiße schaumige Gischt umspülte das Gestein. Eine bedrohliche Wolkendecke hatte sich vor die Sonne geschoben und ich fröstelte trotz des Schweißes, der mir am Rücken hinab rann. Auf der Hügelkuppe hinter mir stand eine alte Frau. Ihr weißes Haar umwehte ihr faltiges Gesicht. Nur ihre Augen leuchteten, als gehörten sie einem jungen Mädchen, als sie voller Inbrunst hinter mir herrief:
„Du musst dich deinem Schicksal stellen! Du kannst nicht davon laufen!“
Und obwohl sie in einer mir fremden Sprache rief, konnte ich jedes einzelne Wort ihrer Prophezeiung verstehen. Eine Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper. Ich suchte panisch nach einem Fluchtweg. Ich konnte nirgendwo hin. Vor mir das eisige Nass und hinter mir war diese unbekannte Bedrohung, die vor allem von den Worten dieser weißhaarigen Frau ausging. Doch als ich mich erneut nach ihr umdrehte, war sie verschwunden. Wo war sie hin? Ich suchte die felsige, karge Landschaft nach ihr ab. Sie blieb verschwunden. Erleichtert atmete ich auf, sank erschöpft auf die Knie und versuchte zu verstehen, wovor ich solche Angst hatte. Ein kalter Windhauch wehte
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