Bold, Emely
gewichen und sie taumelte kraftlos zu ihrem Pferd.
„Nichts!“
Niemals würde sie zugeben, was sie den Worten und dem Blick der Hexe entnommen hatte.
„Eine irre alte Frau, mehr war sie nicht!“
Kapitel 1
Delaware, 2010
Ich saß auf dem verstaubten Dachboden meiner Großmutter Anna und hatte rings um mich herum mehrere Haufen unterschiedlichster Papiere getürmt. Vor mir standen noch zwei weitere Pappkartons mit der verblichenen Aufschrift „Sonstige Dokumente“. Die nackte Glühbirne über mir spendete nur hier, im vorderen Teil des Dachbodens, ausreichend Licht. Die unzähligen Kartons und die mit Tüchern abgedeckten Möbelstücke weiter hinten sahen aus wie dunkle Ungeheuer. So ganz wohl war mir hier oben nicht. Doch bevor übermorgen eine Firma kam, um den gesamten Nachlass meiner geliebten Grandma auszuräumen, wollte ich sehen, ob in den Kisten und Schachteln noch etwas Wichtiges oder Interessantes zu finden war. Meine Eltern machten sich irgendwo unten im Haus zu schaffen, denn die Kaufinteressenten würden noch heute von einer Maklerin hierher begleitet werden.
Ich griff erneut in die Schachtel vor mir und holte den nächsten Stapel Papier hervor. Der aufgewirbelte Staub tanzte im flackernden Licht und ich musste mehrmals niesen, als ich die Zettel durchsah. Merkwürdig, dass mir zuvor noch nie aufgefallen war, dass Staub einen eigenen Geruch hatte. Irgendwie alt und geheimnisvoll. Ich kam mir vor wie ein Grabräuber, der verstaubte Schätze zu finden hoffte. Was ich zwischen den alten Rechnungen, Quittungen oder Zeitungsausschnitten finden würde wusste ich nicht, aber irgendwie kam es mir vor, als säße Grandma neben mir, um mir die Geschichte zu jedem einzelnen Zettel zu erzählen. Doch wenn ich in dieser Geschwindigkeit weitermachen würde, hätte ich vermutlich das zweifelhafte Vergnügen die ganze Nacht hier oben zwischen den Spinnweben zu verbringen. Darum strich ich mir entschieden eine verirrte Strähne meines braunen Haares zurück hinters Ohr. Ich war eben nicht Indiana Jones! Die nächsten zwei Ladungen Papier wanderten daher genauso unbarmherzig auf den „Müllberg“, wie schon unzählige Zettel zuvor. In der nächsten Kiste gab es rein gar nichts, das auch nur einen zweiten Blick wert gewesen wäre. Nun stellte sich die Frage, ob ich die dritte Schachtel überhaupt öffnen sollte, nur um noch mehr Zeitungsausschnitte und anderen Kram durchzusehen. Ich seufzte enttäuscht und mein Magen knurrte laut. Wie spät es wohl war? Anhand meines Hungergefühls versuchte ich die Zeit abzuschätzen, bevor ich mich schicksalsergeben und auch ein klein wenig neugierig daran machte, die letzte Kiste doch noch zu öffnen. Meine Finger waren von der Druckerschwärze und dem Staub schon ganz schwarz. Ich zog die Kiste etwas näher heran und war erstaunt, dass diese sogar noch verstaubter als die beiden anderen war. Vermutlich war es die Älteste und in den letzten fünfzig Jahren anscheinend kein einziges Mal geöffnet worden. Indiana Jones meldete sich voller Hoffnung zurück. Vermutlich würde ich darin noch echtes Papyrus oder gar in Stein gemeißelte Schriften finden! Oder eben schon fast vergammelte Seiten und Zettel! Was auch immer, ich würde es gleich sehen. Ich holte noch einmal tief Luft und zog den Deckel ab. Enttäuscht stellte ich gleich auf den ersten Blick fest, dass von geheimnisvollen Papyrusrollen und sonstigen Raritäten jede Spur fehlte. Trotzdem schien ich die spannendste der drei Schachteln vor mir zu haben. Unter einem Haufen vergilbter Zettel war ein kleines rotes Buch zu sehen. Vorsichtig nahm ich das ledergebundene Buch heraus. Es musste wohl so etwas wie ein Tagebuch sein. Dann folgte wieder eine ganze Ladung Altpapier, und erst als ich schon beinahe nicht mehr damit gerechnet hätte, in der Schachtel noch etwas Brauchbares zu finden, ertasteten meine Finger etwas Hartes. Ich wühlte so lange weiter, bis ich den geheimnisvollen Gegenstand mit meiner Hand umschlossen hatte. Gespannt stand ich auf und hielt mein Fundstück direkt unter die Glühbirne. Ein recht unscheinbares Schmuckstück an einer angelaufenen silbernen Kette lag in meiner Handfläche. Der Anhänger war ebenfalls aus Silber. Er war oval und in einem Kreis waren fünf Pfeile, die in der Mitte mit einem Band umwickelt waren, abgebildet. Auf der Rückseite des Anhängers war etwas eingraviert. Ich rubbelte mehrfach über die Schrift, doch das ganze Schmuckstück war schwarz angelaufen und man
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