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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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die Haare und rannte hinaus. Ich hörte sie laut und falsch lachen. Mein Herz
     schlug wie eine Boxerfaust. Sollte ich schnell durch die Küchentür verschwinden? Oder sollte ich den Unschuldigen mimen? Ich
     machte mir nichts vor – nach dem, was in den letzten Minuten mit mir geschehen war, würde mir das nicht gelingen.
    In der Stadt, in meinen Kreisen, war diese Situation unverfänglich wie eine Postwurfsendung. Man saß halt abends bei seiner
     Nachbarin und aß coq au vin . Niemand kam auf dumme Ideen. Aber in Schauren war alles anders. So viel hatte ich schon gelernt. Wenn man uns hier so zusammensitzen
     sähe, wäre das schon Beweis genug, dazu müsste ich mich nicht einmal zu Lotte ins Ehebett legen.
    Mir wurde übel. Das Essen drohte mir hochzukommen. Ich musste mich beruhigen. Musste mir klarmachen, dass es für einen wie
     mich immer einen Ausweg gab. Aber welchen?
    Pierre Brück würde jedenfalls nicht an seiner eigenen Haustür klingeln. Diese Erkenntnis ließ mich aufatmen. Ich schenkte
     mir Rotwein nach und trank einen großen Schluck. Dann noch einen. Und noch einen. Der Wein stieg mir in den Kopf. In der Flasche
     war nur noch ein Glas. Lotte würde sich wundern. Aber mir ging es etwas besser. Ich streifte unterm Tisch meine Schuhe ab
     und streckte mich. Wohlig. Ich schaute mich um. Fühl dich wie zu Hause!
    Zuerst würden ein paar Bücher in die Schrankwand kommen. Wohnzimmer ohne Bücher haben keine Atmosphäre, finde ich. Dann würde
     der afrikanische Völkerkunde-Kitsch verschwinden. Ich stand auf und ging zum Sideboard. Das Holz der Maske war brüchig. Ich
     hob sie hoch und drehte sie um. Sie war gar |13| nicht so schwer, wie ich geglaubt hatte. Made in Spain. Das war typisch für einen Franzosen aus Pierre Brücks Generation. Keinen Stil.
    »Gefällt’s dir?«, fragte Lotte. Sie stand in der Tür und rauchte. Die Hüfte abgeknickt, einen Arm auf den Hintern gestützt.
     Sie sah wundervoll aus. »Das ist eine Fruchtbarkeitsgöttin, sagt ... heißt es.«
    Ich stellte das schreckliche Ding zurück. »So heißt es immer«, sagte ich und nahm wieder Platz.
    Sie musterte mich von der Tür aus. Ich streckte die Beine aus. Ich wurde immer mutiger. Das machte der Rotwein.
    »Wer war an der Tür?«
    Sie inhalierte tief und schaute versonnen dem ausgeatmeten Rauch hinterher.
    »Die Nachbarin. Sie wollte wissen, ob wir zum Kartenspielen rüberkommen. Sie wusste nicht, dass Pierre ... dass ich allein
     bin.«
    »Und? Was hast du gesagt?«
    Sie drückte die Zigarette in einer Schale mit Zierkürbissen aus.
    »Dass ich keine Zeit habe.«
    Nach dem Dessert machten wir es uns bequem und hörten bei einer zweiten Flasche Rotwein noch einmal die Leonard-Cohen-CD.
     Dann sagte sie:
    »Heute verbringen wir zum ersten Mal eine ganze Nacht miteinander. Wie Mann und Frau.«
    Es war schon ein Uhr. Mir war nicht wohl dabei, Pierre Brück spukte wieder in meinem Kopf herum. Ich nahm einen tiefen Schluck
     – und fand mich in mein Schicksal.
    »Aber wir bleiben hier! Ich möchte, dass du neben mir in meinem Bett schläfst ...«
    Ich fuhr hoch. »Was?!«
    »Ja, das will jede Frau: Ihren Liebhaber in ihrem eigenen Bett haben.«
    Ich ließ mich von ihr an der Hand ins eheliche Schlafzimmer führen. Zwei Flaschen Rotwein; in meinem Kopf ging es drunter |14| und drüber. Die Möbel waren hellbraun. Hellbraun und schwer und kitschig. Es fehlten nur noch die nackten Putten.
    »Ich habe das Bett extra frisch bezogen«, sagte sie und sah mich an wie ein Backfisch bei seiner Premiere.
    »Und morgen? Wirst du dann auch frische Bettwäsche nehmen?«
    Sie legte mir den Zeigefinger auf die Lippen.
     
    I ch glaube, es ist jetzt Zeit, dass ich dir etwas gestehe«, sagte ich danach.
    Das Licht hatten wir gelöscht, nur der gelbliche Schein der Straßenlaterne drang durch die Rollladenritzen herein. Es war
     still. Still wie auf dem nahen Friedhof.
    Lotte hatte die Augen geschlossen, sie atmete ganz ruhig. Meine Hand lag auf ihrer Brust, ich spürte ihr Herz schlagen.
    »Ich habe mich in dich verliebt.« Ihr Herz begann zu rasen. »Ich weiß, dass ich das nicht sagen sollte. Es ist alles schwierig
     genug. Aber nach dem, was eben geschehen ist ... ich meine, es ist ja nichts Ungewöhnliches geschehen, außer dass wir uns
     ganz nahe waren ... da muss ich es dir einfach sagen.«
    Ihr Herz – es war außer Rand und Band, als würde es jeden Moment zerspringen.
    »Ich weiß sehr wohl, wie aussichtslos das ist. Dazu kommt, dass ich

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