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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Sanllorente
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drastisch gestiegen, was damit zusammenhängt, dass immer mehr Menschen aus den umliegenden Dörfern nach Bombay ziehen. Sie träumen davon, in Bombay ein besseres Leben führen zu können. 1976 - witzigerweise meinem Geburtsjahr - wurde das Slum Improvement Programme (SIP) vorgestellt, um die Elendsviertel etwa mit sanitären Anlagen auszustatten. Aber die Maßnahme war nur ein Tropfen auf den heißen Stein - das Grundübel konnte damit nicht beseitigt werden.
    Mitte der 1990er Jahre gründete die Regierung von Maharasthra dann die Slum Rehabilitation Authority (SRA). Ich konnte der lokalen Presse entnehmen, dass deren Vertrauenswürdigkeit und Arbeitsmoral umstritten waren. Mittels der SRA verhandelt die Regierung mit den Baufirmen über den Verkauf
von Grundstücken, die derzeit noch zum Slumgebiet gehören. Die Bauträger müssen sich jedoch dazu verpflichten, jene Familien, die durch die Baumaßnahmen ihr Dach über dem Kopf verlieren, in den neu entstehenden Gebäuden unterzubringen. Man hatte bereits Schmiergeldzahlungen der Baufirmen an die SRA aufgedeckt, mit denen sie einige der Auflagen in den Verträgen umgehen wollten.
    Am nächsten Morgen versuchte ich das Elend zu vergessen und die Sehenswürdigkeiten zu genießen. Aber so sehr ich mich auch auf andere Eindrücke einlassen wollte, meine Gedanken schweiften wieder ab ans andere Ende der Welt - nach Dharavi, Matunga, Dadar. Zu den Orten, wo man mich manchmal anlächelte und manchmal grimmig musterte, von denen ich mich aber sogartig angezogen fühlte.
    Eine rationale Erklärung hätte ich nicht nennen können. Zweifellos übten die Slums von Bombay eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Ständig drangen mir Staubpartikel in die Nase - eine ideale Stadt für einen Asthmatiker wie mich! - und setzten sich in meinem Gehirn zu Bildern der windschiefen Baracken zusammen, in denen halb Bombay lebte.
    Der Tag meiner Rückkehr nach Spanien rückte allmählich näher, und ich hatte keine Ahnung, wie ich all diese Gedanken in meinem Gepäck verstauen sollte. Wie würden sie sich auf meinen spanischen
Alltag auswirken? Wollte ich denn überhaupt in den Alltag zurück? Weshalb machte mich das baldige Ende der Reise so traurig? Ich habe schon häufig darüber nachgedacht, warum dermaßen viele Menschen schlechte Laune kriegen, wenn der Urlaub vorbei ist, und warum die meisten von ihnen mit großem Missfallen nach Hause zurückkehren. Bedeutet es nicht, dass wir eine große Abneigung dagegen haben, uns in unserem Alltag, in unserem Beruf wieder zu finden?
    Wenn man verreist, entfernt man sich - nicht nur im geografischen Sinn, sondern entfernt sich auch von der Routine. Aus der Entfernung kann man mit größerer Klarheit auf die Einzelteile blicken, aus denen unser Alltag besteht. Wir müssen lernen, unser Leben auch von außen zu betrachten, als würde es sich auf einer Kinoleinwand abspielen. Nur so können wir klarer sehen und klügere Entscheidungen treffen.
    Tagelang versuchte ich, Leute zu überreden, mir noch andere Slumviertel zu zeigen - Bombays versteckten, verlorenen Winkel. Endlich nahm mich in der letzten Woche meines Aufenthalts Ajay, ein Mitarbeiter der Pension, in der ich wohnte, mit nach Borivali im Norden der Stadt.
    »Halt hier an«, bat ich ihn instinktiv, als wir schon ein ganzes Stück in seinem Kleinlastwagen durch das Elendsviertel gefahren waren. Irgendetwas sagte mir, dass ich aussteigen und zu Fuß durch die
schmalen Gassen zwischen den Behausungen aus Pappe und Plastik gehen musste.
    Es dauerte nicht lange und wir waren umringt von einer Horde Kinder, manche von ihnen fast nackt, andere in dreckige Lumpen gehüllt. Allen hatte die Krätze ihre grauen Male in die dünnen Arme geätzt.
    Am Ende der Gasse sah ich eine Baracke, die sich von den anderen abhob, denn sie war aus blauem Plastik und es lag eine Unmenge Müll davor.
    Je näher ich der Baracke kam, desto deutlicher hörte ich die erstickten Seufzer einer jungen Frau, die in einem weißen Sari mit silberner Borte, der einen drastischen Kontrast zur Umgebung bildete, davor kniete.
    »Kavita, Kavita …«, stieß sie immer wieder hervor, während sie den Oberkörper krampfhaft vor und zurück warf.
    Ich konnte nicht glauben, was ich dann sah. Vor der Frau, auf einem Stück Pappe, lag ein Säugling, wohl keinen Monat alt. Lag da, winzig, reglos.
    »Kavita, Kavita …«, wimmerte die Frau weiter, auch als sie mich schon bemerkt hatte. Voller Bitterkeit blickte sie auf das

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