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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Sanllorente
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eine Kugel aus Licht fährst, wird es hindurchgehen und kein Zeichen hinterlassen.«
    Nach dem Anblick des Kindes mit dem Kondom zwischen den Lippen, schien es mir als eine unüberwindbare Aufgabe, keine Kerbe im Herzen davonzutragen.

7
    Noor

    Was nutzt es schon, wenn ich mich ändere?
Diese Frage ist nicht richtig, denn du bist der Rest
der Menschheit.
    KRISHNAMURTI

    Die Haji-Ali-Moschee war für mich der schönste Ort in Bombay. Dieses muslimische Gotteshaus wurde Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet und beherbergt das Grab von Hazrat Haji Ali, einem heiligen Sufi. Es wird berichtet, Haji Ali sei ein sehr reicher Kaufmann gewesen, der nach einer Mekka-Reise beschlossen hatte, der ihm allzu materialistischen Welt den Rücken zu kehren und sich der Meditation zu widmen. Die Moschee wurde im Meer erbaut und ist mit ihren Minaretten, besonders in den Abendstunden, wenn die Sonne untergeht und die ersten Lichter in den fernen Hochhäusern erstrahlen, von bezaubernder Schönheit.
    Im Gegensatz zum Anblick des prächtigen Gebäudes, ist der Weg dorthin, der über eine lange Brücke
führt, keineswegs angenehm. Zahllose Bettler mit verstümmelten Gliedmaßen betteln um Almosen und flehen dabei Allah um Gnade an.
    Mitten in dieser herben Umgebung beobachtete mich einmal ein bildhübsches, aufgewecktes Mädchen. Es saß auf dem Boden und trug ein bordeauxrotes Kleid, besetzt mit Spitzen, die einst weiß gewesen sein mussten. Sie erinnerte mich an Pooja. Doch dieses Mädchen hier war älter. Es wirkte auch reifer, sein Blick war weniger unschuldig.
    »Wie heißt du?«, fragte ich das Mädchen.
    »Noor«, sagte es mit klarer Stimme.
    »Noor, was für ein schöner Name! Das bedeutet Licht, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte das Mädchen und schaute schelmisch - es wusste, dass es einen kostbaren Namen trug.
    »Wie alt bist du denn?«
    »Zehn.«
    »Gehst du zur Schule?«, fragte ich etwas dumm, denn ich konnte mir die Antwort auf die Frage schon denken.
    »Nein. Meine Mutter arbeitet hier und ich helfe ihr. Wir bitten Touristen um eine milde Gabe.«
    »Würdest du denn gerne eine Schule besuchen?«
    »Ja, aber es geht nicht. Ich muss hier sein und meiner Mutter helfen. Sie bringt mir schon bei, was ich wissen muss«, antwortete Noor und blickte in die Ferne, als wäre das Thema für sie abgeschlossen.
    »Magst du Eiscreme?«

    Schnell drehte Noor den Kopf zu mir und schüttelte ihn, was in Indien Zustimmung bedeutet. Sie wirkte sofort fröhlicher und jünger. In ihren dunklen, durchdringenden Augen konnte ich erkennen, welche Freude in ihr das Zauberwort »Eiscreme« ausgelöst hatte.
    »Komm mit. Da vorne können wir uns Eiscreme kaufen.«
    Da hob Noor, freundlich lächelnd und ohne den Blick von mir abzuwenden, ihren Rocksaum an und entblößte zwei Stümpfe, die unter dem Kleid verborgen waren.
    Man hatte ihr die Beine bis über die Knie amputiert, damit sie beim Betteln möglichst großes Mitleid hervorriefe - eine grausame Angewohnheit, die vor allem die Jüngsten und Hilflosesten häufig trifft.
    Ich ging alleine los, um Eiscreme zu kaufen. Auf dem Weg zum Eis versuchte ich, meine Tränen zu unterdrücken.
    Noor und ich saßen den ganzen Abend zusammen - die himmelschreiende Ungerechtigkeit aber konnte ich nicht vergessen, sie überwältigte mich vollkommen. Wie die Scheinwerfer eine Theaterbühne oder Laternen eine düstere Straße erhellen, leuchtete Noor mir mit dem Lichtstrahl ihres Namens sowie ihrer Augen Glanz den Weg, den ich gerade dabei war einzuschlagen.
    Die Tage vergingen mit Hupkonzerten und Kinderlachen, im Smog und inmitten bezaubernd schöner
Landschaften. Doch mit meinen Gedanken, meiner Seele, meinem Herzen war ich immer dort, in den Slums, in Kamathipura, bei Poojas erschrockenen Augen, Kavitas leblosem Körper und Noors verstümmelten Beinen.
    Bei einem Spaziergang durch Colaba - am nächsten Abend sollte ich abreisen - überlegte ich mir, wie ich denn meinen letzten Tag in Bombay verbringen wollte. Ich würde durch die Gegend schlendern, ein paar Souvenirs für meine Familie kaufen, mittags im Leopold’s essen, dann ins Hotel zurückkehren und den Abend mit einem Sonnenuntergang am Strand von Chowpatty ausklingen lassen und dabei ein köstliches bhelpuri essen.
    Auf dem Rückweg ins Hotel stachen mir auf Höhe der Henry Road erneut die vielen verlausten, mit eiternden Wunden übersäten Kinder ins Auge, die sich an den Ecken zusammenrotteten. Warum überkam mich eigentlich nur Traurigkeit, wenn ich

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