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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Sanllorente
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wusste ich, dass Maiti Nepal, jene Organisation, die ich bei meiner Kathmandu-Reise aufgesucht hatte, auch Mädchen aus Kamathipura zu befreien half, die entweder entführt oder von ihren Familien verkauft worden waren.
    Nun sah ich mit eigenen Augen, wie Hunderte junger Frauen vor Hunderten von schmalen Barackentüren saßen. Teilweise hatten die Baracken drei bis vier Stockwerke, vor den Fenstern hingen zerlumpte Gardinen. Ich bemerkte, dass in manchen Gassen nur Mädchen, in anderen nur Jungs und in wieder anderen nur Transsexuelle arbeiteten. Anscheinend gab es in jeder Gasse ein bestimmtes Angebot für eine bestimmte Kundschaft. Ich hatte gehört,
dass etliche Prostituierte beim Anbieten ihrer Dienste ihre Söhne oder Töchter gleich mit anboten.
    Die Gesichter der Männer, die ich hier sah, wahrscheinlich die Zuhälter, waren durchgehend unfreundlich. Ich konnte die Gefahr förmlich mit Händen greifen. Ich hatte sogar plötzlich den Eindruck, verfolgt zu werden. Trotzdem spürte ich keine Angst, jenes Gefühl, das im Wörterbuch des Lebens überhaupt nicht vorkommen dürfte.
    Ich sah einen Eingang mit halbgeöffneten Vorhängen. Und derselbe Impuls, dem ich auf dieser Reise schon häufig gefolgt war, ließ mich zielstrebig auf den Eingang zugehen. Drinnen war es düster. Erhellt wurde das Dunkel nur von einem roten Lämpchen im engen Treppenhaus, über das man ins obere Stockwerk gelangen konnte. Ich ging nach oben. Was konnte schon passieren? Wenn mich jemand anhielte, würde ich eben sagen, ich sei ein Kunde und suche ein bestimmtes Mädchen. Irgendeine Ausrede würde mir schon einfallen.
    Die Stufen in dem kaum mehr als 70 Zentimeter breiten Treppenaufgang waren schief und wackelig. Das Holz ächzte unter meinen Füßen. Falls oben jemand war, würde ihn das Knarren jedenfalls warnen. Die Stufen, die seit Jahren von Prostituierten, Zuhältern, Kunden benutzt wurden, endeten im ersten Stock. Auf dem Treppenabsatz verbreitete eine weitere rote Glühbirne fades Licht. Es gab nur eine Tür, verhängt mit einem Vorhang, der mit Pfauen gemustert
war. Hinter dem Vorhang hörte ich Geräusche. Sie wurden immer deutlicher, als ich näher kam.
    Was ich hörte, war das lustvolle Stöhnen eines Mannes, der dabei war, mit einer Frau Sex zu haben - an dem allerdings nur er sich freiwillig beteiligte.
    Anstatt die Treppe wieder hinunter zu gehen, schob ich einen weiteren Vorhang beiseite.
    Das Empfangszimmer dahinter war sehr klein, es passte gerade so ein Einzelbett hinein. Alle vier Wände waren mit Bildern nackter Mädchen beklebt. Der Türrahmen zu meiner Linken schien in ein weiteres Zimmerchen zu führen, das erneut von einem Vorhang mit Pfauenmuster verdeckt wurde. Auch hinter diesem Muster - ein lustvolles Stöhnen.
    Ich blieb stehen, betrachtete die Plakate und die Wände voller Stockflecken, die sogar in dem schwachen Licht zu erkennen waren. Als ich auf den Boden sah, bemerkte ich ein kleines Wesen, das dort auf Knien rutschte und mich aus riesigen Kulleraugen ansah.
    Es war ein Kind. Das Kind, noch keine zwei Jahre alt, betrachtete mich voller Staunen und steckte sich dabei etwas in den Mund. Es wirkte verblüfft, aber eher meinetwegen und nicht wegen des Stöhnens, das ein Mann ausstieß, den wahrscheinlich seine Mutter bediente.
    Ich lächelte dem Kind zu, aber es blieb reglos. Nur seine Hand bewegte sich. Obwohl ich ungünstig stand, konnte ich sehen, dass es an einem bereits benutzten Kondom lutschte.

    Ich wollte zurückweichen, stolperte aber über einen Topf, der auf dem Boden stand. Im Nebenraum wurde es auf einen Schlag still, der Vorhang wurde zur Seite geschoben.
    »Priyanka?«, fragte eine Frauenstimme.
    So schnell ich nur konnte, rannte ich die Treppe hinunter ohne mich umzuschauen. Die Stimme hörte ich zwar, doch wurde sie immer leiser.
    »Priyanka, Priyanka?«
    Als ich wieder auf der Straße war, tauchte ich in der Menge unter und suchte nach einem Ausgang aus diesem Labyrinth des Elends.
    Ein englischer Journalist hatte Kamathipura in einem seiner Artikel einmal als »Die Hölle auf Erden« bezeichnet.
    Als mein Puls sich wieder normalisiert hatte und ich dank meines Inhalators wieder ruhiger atmen konnte, fiel mir ein Satz ein, den ich während einer Yogastunde in Barcelona gehört hatte: »Mach, dass dein Herz wie Licht sei, denn nur so kann kein Fausthieb es verletzen. Wenn du mit einem Messer eine Kerbe in einen Stein ritzt, wird es ein Zeichen, das bleibt. Wenn du mit demselben Messer in

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