Bombay Smiles
beitrug, zukünftige Armut zu verringern. Schulbildung wurde somit zum wichtigsten Instrument, um den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen.
Jene Transferprogramme, bei denen die Zahlung eines Mindesteinkommens unter der Bedingung des Schulbesuchs erfolgte, haben in zahlreichen lateinamerikanischen Ländern in den sozial- und bildungspolitischen Reformen eine wichtige Rolle gespielt. Aber was konnte ich denn schon den Familien in den Elendsvierteln hier anbieten? Ein Tauschhandel, bei dem die Familie eine Ausgleichszahlung erhielt, dürfte eher zu Spannungen im Viertel führen. Man würde das Gegenteil von dem erreichen, was man beabsichtigte.
Die Herausforderung bestand darin, den Familien einen Vorteil zu bieten, ohne ihnen direkt Geld auszuzahlen.
Während meiner Aufenthalte in der Stadt, war ich mit Lakshmis Mutter, die ich auf meiner ersten Reise kennengelernt hatte, häufig beim Arzt gewesen. Sie hatte ein offenes Bein, aber es war sehr schwer, sie in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. In meiner Verzweiflung hatte ich den Krankenschwestern dicke Geldbündel unter die Nase gehalten, doch es nutzte nichts - eine Unberührbare durfte keinen Fuß auf den Krankenhausboden setzten.
Ich musste lange suchen, bis ich ein medizinisches Institut in der Stadt gefunden hatte. Aber schließlich war es mir gelungen, von Doktor Chetan Oberai empfangen zu werden, einer Eminenz auf dem Gebiet der Dermatologie, der Privatsprechstunden im teuersten Gesundheitszentrum der Stadt abhielt. Wieder verspürte ich große Genugtuung, dass ich einem Bürger, der als dritt- oder gar viertklassig eingestuft wurde, eine erstklassige Behandlung verschaffen konnte. Dies sah ich als einen erneuten Triumph der Gleichberechtigung.
Die Wunden am Bein von Lakshmis Mutter, das einst völlig zerfressen war, in dem sich bereits Maden eingenistet hatten, wo der Knochen zu sehen war, waren nach der Therapie vernarbt. Auch wenn das Bein nicht besonders gut aussah - die Entzündung
würde nicht wieder aufkommen. Als ihre Nachbarinnen aus Dharavi erfuhren, dass ich mit ihr im Institut war, baten sie mich, sie ebenfalls dorthin zu bringen - und zählten mir ihre gesundheitlichen Probleme auf. Ich weiß nicht, ob sie wirklich an all den aufgezählten Krankheiten litten oder ob sie ein bisschen übertrieben, nur um auch mal in ein Gesundheitszentrum zu gelangen. Für mich war diese Geschichte jedenfalls ein Hinweis darauf, auf welche Weise den Kindern nach und nach der Besuch einer guten Schule ermöglicht werden konnte.
Wie erwähnt: Es ging den Slumbewohnerinnen gar nicht so sehr um die Gesundheit an sich, sondern eher darum, ein Krankenhaus zu besuchen. Das hatte, selbst wenn es sich in einem Slum befand, hohes soziales Prestige. Was wir also tun konnten, war, Gesundheit statt Geld anbieten.
So entwarf ich das Projekt Eine Karte für die Hoffnung . Die Familien in den Slums sollten eine Karte bekommen, mit der sie Zugang zur medizinischen Versorgung hatten, zu Routineuntersuchungen, spontanen Arztbesuchen, Operationen sowie weiteren Behandlungen im Krankheitsfall. Dafür unterschrieben die Familien einen Vertrag, der sie dazu verpflichtete, ihren Kindern eine schulische Ausbildung zu ermöglichen und sie nicht vor dem Schulabschluss zur Arbeit zu zwingen. Wenn es zur unentschuldigten Abwesenheit beim Unterricht kam, oder die Eltern ihre Verpflichtungen auf eine andere
Weise nicht vollständig erfüllten, sollten sie alle Rechte verlieren und müssten einen gewissen Prozentsatz zurückerstatten, der mit den bis dahin erhaltenen medizinischen Leistungen zusammenhing.
Gerade sind Pilotprojekte mit Familien aus Dharavi und Andheri angelaufen. Natürlich stoßen wir auf Hindernisse, wie beispielsweise die Beschaffung von amtlichen Geburtsurkunden der Betroffenen. Viele der Familien stammen aus anderen Teilen Indiens und die Geburtsurkunden der Kinder, das »Familienstammbuch«, sind im Geburtsdorf geblieben. Dadurch ist es sehr schwierig, die Kinder in einer Schule anzumelden, denn vor dem Gesetz existieren sie gar nicht. Wir müssen in jedem einzelnen Fall mit den Betroffenen den langwierigen Prozess der behördlichen Erfassung durchlaufen oder versuchen, offizielle Papiere aus der Ursprungsregion zu beschaffen.
Dennoch verlaufen die Pilotprojekte vielversprechend und machen - ganz wie der Name verspricht - Hoffnung, dass bald immer mehr Kinder aus Bombay in eine unbeschwertere Zukunft blicken, ein von der Sklaverei der Armut befreites Leben
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