Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
kein Problem. Oben am Tor hab ich auch tiefe Reifenabdrücke entdeckt. Kein Wunder bei dem Gewicht, das die zu transportieren hatten. Ich tippe mal auf einen robusten Transporter, so einer, wie ihn diese Paketdienste benutzen. Die Fischdiebe haben ihre Beute garantiert in irgendwelchen großen Wasserkanistern oder Bassins wegtransportiert. Da kommt schon einiges an Gewicht zusammen, denk ich mal.«
»Hmh«, brummte Tannenberg nachdenklich. »Und was ist mit der Zeugenaussage dieses Vereinsvorsitzenden?«
»Leider total unergiebig. Der kam heute Morgen erst in den Japanischen Garten als alles schon längst vorbei war.«
»Mann, Mann, Mann, was für eine bekloppte Nummer! So ein Schwachsinn!«, schimpfte Tannenberg mit einem Mal ungehalten los. Er warf seine Hände seitlich an den Kopf, hämmerte mit den Fingerkuppen auf die Schläfen ein. »Wie sollen wir denn diesen durchgeknallten Typen auf die Spur kommen? Warum haben diese Irren nicht eine Bank überfallen oder einen Supermarkt? Dann hätten wir wenigstens Videoaufnahmen und wertvolle Tatzeugen.« Er stapfte wie Rumpelstilzchen durch den Flur. »Soll ich jetzt etwa alle Fischweiher absuchen, oder was?«
Karl Mertel war während Tannenbergs Wutausbruch in sein Labor geeilt. Nun stellte er sich ihm in den Weg und hielt ihm einen Schnellhefter unter die Nase.
»Was ist das?«
»Ein Katalog mit den Fotos der gestohlenen Kois, Wolf. Den hat mir heute früh dieser Mann im Japanischen Garten übergeben.« Er klappte die Broschüre auseinander. »Da sind alle geklauten Fische drin. Du glaubst es nicht, aber die haben tatsächlich jeden einzelnen von ihnen fotografiert. Die besonders wertvollen Exemplare sind diejenigen, die mit einem roten Kreuz markiert sind. Anhand der Rückenzeichnungen lassen sie sich wirklich sehr gut voneinander unterscheiden, findest du nicht?«
»Doch, klasse, ich bin total beeindruckt! Und was soll ich damit?«, blaffte Tannenberg. »Die Forellenteiche der Umgebung abklappern?«
»Nein, ich hab einen anderen Vorschlag für dich«, erwiderte Mertel schmunzelnd. »Während ich mich weiter um die Auswertung der Spuren kümmere, könntest du dich mal im Internet schlau machen, ob es dort nicht irgendwelche Koi-Börsen oder Schwarzmärkte gibt, wo mit diesen schweineteuren Fischen gehandelt wird. Vielleicht tauchen die Kois aus dem Ordner dort ja irgendwo auf. Dann hätten wir wenigstens eine heiße Spur.«
»Na ja, ich weiß nicht«, bemerkte der Leiter des K 1 mit skeptischer Miene. »Aber ich kann’s ja mal versuchen. Ist auf alle Fälle besser als bei diesem Sauwetter Fischweiher abzugrasen.«
»Vielleicht stecken hinter der ganzen Sache ja auch nur ein paar Scherzkekse.«
»Scherzkekse?«
»Ja, irgendwelche Witzbolde, die bloß so zum Spaß oder aus purer Langeweile die Kois geklaut haben.«
»Irgendwie ist alles möglich. Aber vielleicht stecken ja auch militante Tierschutz-Aktivisten dahinter – Abteilung ›Freiheit für alle Kois‹.«
»Warum eigentlich nicht? Die haben sie dann bestimmt irgendwo in einem Fluss ausgesetzt. Vielleicht sogar in unserer alten Lauter.«
»Das wäre O.K.«
»Wieso?«
»Na ja, vielleicht besitzen diese hässlichen Viecher auch so ein Navigationssystem wie die Lachse, mit dem sie zurück an ihren Geburtsort geleitet werden. Dann kämen sie doch irgendwann automatisch nach Japan.«
Die restlichen Stunden dieses Freitagnachmittags verbrachte Kriminalhauptkommissar Wolfram Tannenberg vor seinem Computer. Er hatte bei einer Suchmaschine die Worte ›Koi‹ und ›Handel‹ eingetippt, dazwischen ein Pluszeichen gesetzt und anschließend die Returntaste gedrückt. Über 70.000 verschiedene Internetseiten wurden ihm daraufhin präsentiert. Er fing ganz vorne an – und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Schnell gewann er den Eindruck, die Tür zu einer ihm bislang völlig unbekannten Welt aufgestoßen zu haben. Die erste Internetseite, welche er öffnete, war die eines Fachhandels für Original Japankois und Spezial-Teichzubehör.
Er entdeckte den dramatischen Hilferuf eines Vereins zur Ausrottung der Koi-Herpes, er fand ausführliche Informationen über diverse Koi-Transportsysteme und bewährte Verfahren zur Teichoptimierung. Am allermeisten jedoch faszinierten ihn die Preisangaben, mit denen die unzähligen Koi-Abbildungen versehen waren. Den eigentlichen Anlass für seine Internetrecherche hatte er inzwischen völlig vergessen. Der Ordner mit den Fotos der im Japanischen Garten
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