Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
schmoren lassen wollte – was Dr. Schönthaler natürlich wusste. Schließlich waren die alten Kumpane begeisterte Strategiespieler, die jede sich bietende Gelegenheit zu einem kleinen intellektuellen Scharmützel nutzten. Und nichts war prickelnder, als über Informationen zu verfügen, die der Gegner nicht besaß, aber alles daransetzte, um sie zu besitzen.
»Gib mir wenigstens einen kleinen Tipp«, bettelte Dr. Schönthaler.
»Gerne«, zeigte sich Tannenberg unerwartet gönnerhaft. »Der Zentralbegriff, um den sich in meinem aktuellen, äußerst mysteriösen Kriminalfall alles dreht, lautet …« Tannenberg brach ab, stülpte die Unterlippe vor und zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Rainer, hab ich jetzt doch tatsächlich vergessen.«
»Los, mach schon«, knurrte der Rechtsmediziner wie ein beißwütiger Polizeihund.
»Na, gut«, erbarmte sich sein Freund: »Zentralbegriff, Doppelpunkt: ›Fische‹.«
»Fische? Und was soll ich damit anfangen?«
»Na, dann lass doch einfach mal deine grauen Zellen arbeiten.«
»Ich brauch mindestens noch einen weiteren Hinweis.«
»Nee.«
»Elender Sadist!«, zischte der Pathologe. In Gedanken ergänzte er: Warte nur, das zahl ich dir heim – heute noch!
Bereits wenige Minuten später saßen die beiden Männer bei ihrem Lieblingsitaliener in der Altstadt. Tannenberg hielt sich auch weiterhin bedeckt, ließ bezüglich seines neuen Falls lediglich ein paar recht nebulöse Andeutungen verlauten. Erst nachdem er seinem Gegenüber ein regelrechtes Schweigegelübde abgetrotzt hatte, servierte er ihm die ganze verrückte Koigeschichte.
Dr. Schönthaler reagierte genauso, wie Tannenberg befürchtet hatte: Er prustete los, lachte aus vollem Halse. »Harakirigefahr?«, rief er dabei so laut, dass sich einige der Restaurantgäste neugierig zu ihm umdrehten. Tränen schossen ihm in die Augen.
Kopfschüttelnd legte Tannenberg das Besteck auf seinen Teller und bedachte seinen unbeherrschten Freund mit einem tadelnden Blick. »Brüll hier nicht so rum!«, schimpfte er leise. »Die Leute werden ja schon auf uns aufmerksam.«
Franco, der Wirt des italienischen Restaurants, erschien schmunzelnd am Tisch, fragte nach dem Grund für den Heiterkeitsausbruch seines Stammgastes.
»Ach, mein alter Kumpel hat mir nur gerade einen Witz erzählt. Aber den behalten wir wohl besser für uns«, schwindelte der Rechtsmediziner. Er atmete noch ein paar Mal schwer, dann hatte er sich emotional wieder besser im Griff.
Mit leiser Stimme sagte er an Tannenberg gerichtet: »Wolf, unabhängig davon, ob die Befürchtungen unseres geliebten Herrn Oberstaatsanwaltes nun zutreffen werden oder nicht …« Dr. Schönthaler stockte und nippte an seinem Rotwein. »Offensichtlich ist der werte Herr zur Zeit etwas hysterisch.«
»Zur Zeit? Das ist er doch wohl immer.«
»Na ja, egal. Also ich halte das alles für völlig irreale Hirngespinste. Obwohl man bei den Japanern tatsächlich nie so genau weiß, was sie im Schilde führen. Aber davon mal abgesehen, das Thema Harakiri ist aus pathologischer Sicht ein äußerst interessantes.«
»Für euch Leichenschnippler vielleicht«, entgegnete Tannenberg. Dann verstummte er, schob sich ein Stück Lasagne in den Mund.
Dr. Schönthaler tat es ihm gleich. Allerdings kaute er ein wenig schneller. Er schluckte den Bissen hastig hinunter und tupfte sich den Mund ab. Man sah ihm deutlich an, dass dieses Thema offensichtlich eine magische Faszination auf ihn ausübte. Er war nun in seinem Element und kannte fortan keinerlei Rücksichtnahme mehr auf die Befindlichkeit seines zuweilen recht sensiblen Tischgenossen.
Außerdem hab ich noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen, freute sich seine schwarze Seele. Danach legte er los: »Wolf, ich erinnere mich gerade an einen internationalen Rechtsmedizinerkongress, bei dem uns mal ein japanischer Kollege einen unglaublich interessanten Vortrag über die Obduktion von Harakiri-Opfern gehalten hat.« Er brach erneut ab, um einen weiteren Schluck Wein zu trinken. »Weißt du eigentlich, wie das klassische Harakiri-Ritual aussieht?«
Tannenberg schüttelte den Kopf. »Will ich auch gar nicht wissen.«
»Doch, doch, ein bisschen kulturelle Bildung kann besonders dir nie schaden«, gab Dr. Schönthaler betont laut zurück. »Also: Der Suizidkandidat kniet nieder …« Grinsend beugte er sich über den Tisch und ergänzte im Flüsterton: »Was ich aus Rücksicht auf dich jetzt nicht tun werde. Damit du dich nicht noch mehr mit
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