Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
mir schämen musst.«
»Danke, sehr freundlich.«
Danach richtete der Pathologe seinen Oberkörper auf und drückte seinen Stuhl etwa einen halben Meter vom Tisch weg. »Dann nimmt er einen kurzen Dolch«, fuhr er mit anschwellender Stimme fort. Er zeigte mit der Spitze des Messers, mit dem er Sekunden zuvor noch die Lasagne geschnitten hatte, auf seine Leistengegend, »sticht sich damit links unten in den Bauch und zieht die scharfe Klinge hoch bis in den Magen und schlitzt ihn auf.« Mit schmerzverzerrter Mimik spielte er diese makabere Prozedur vor.
Tannenberg hatte inzwischen aufgehört zu kauen. Wie in Blei gegossen starrte er hinüber zu Dr. Schönthaler, der nun auch noch den Inhalt seiner nächsten Sätze pantomimisch in Szene setzte.
»Trotz dieser höllischen Schmerzen sieht das traditionelle Ritual vor, dass der Kandidat schweigend den Kopf zum Boden hin senkt. Das ist das Zeichen für den Assistenten – meistens ist das übrigens der beste Freund, in meinem Falle also du –, den letzten Schritt durchzuführen: das Abschlagen des Kopfes mit einem wuchtigen Schwertschlag.«
Wolfram Tannenberg schluckte hart und legte dabei sein Messer in Zeitlupe auf der Serviette ab.
Im Gegensatz zu dem Kriminalbeamten, dessen Appetit sich anscheinend schlagartig verflüchtigt hatte, schob Dr. Schönthaler seinen Stuhl wieder an den Tisch heran und ließ es sich auch weiterhin schmecken.
»Wolf, du siehst aus, als ob du jetzt einen Schnaps vertragen könntest«, bemerkte er mit einem schelmischen Gesichtsausdruck.
Der Leiter des K1 nickte stumm.
»Franco, zwei doppelte Grappa bitte.« Anschließend wandte sich der Gerichtsmediziner wieder an Tannenberg. »Ach, übrigens, bevor ich es vergesse: Du bist ja heute Nachmittag für mich erreichbar, oder?«
»Warum?«
»Weil ich dich mal kurz bräuchte. Dauert auch bestimmt nicht lange.«
»Wofür denn?«
»Na ja, ich gehe jetzt nach Hause und ziehe mich um – irgendwas Festliches. Ich hoffe, ich finde etwas Passendes.«
»Warum?«, brummte sein Gegenüber verständnislos.
»Warum, fragst du? Aber das liegt doch wohl auf der Hand, mein alter Junge: Ich verziehe mich nachher in meine geliebten Katakomben und mache Harakiri. Wollte ich schon immer mal ausprobieren. Ich melde mich rechtzeitig vorher bei dir – zwecks des letzten Freundschaftsdienstes, den du mir dann bitte erweisen möchtest.«
Tannenberg kehrte zurück zu seiner Dienststelle. Zuerst stattete er Mertel in dessen Reich im Keller des Gebäudes einen unangekündigten Besuch ab. Der Kriminaltechniker stand gerade im Flur vor einem Getränkeautomaten und wartete geduldig auf die Kaffeeausgabe.
»Karl, lass um Himmels willen die Finger weg von dieser ekligen Brühe«, riet ihm Tannenberg mit gerümpfter Nase. »Komm mit hoch, ich brau dir einen Spitzenespresso.«
»Wolf, du weiß doch, dass ich lieber normalen Kaffee trinke. So schlecht ist der aus dem Automaten im Übrigen gar nicht«, entgegnete Mertel, während er den gefüllten Plastikbecher aus dem Ausgabefach zog. »Möchtest du auch einen?«
»Gott bewahre! Willst du mich etwa vergiften?« Angewidert drehte Tannenberg der Maschine den Rücken zu. »Sag mir mal lieber, ob du heute Morgen bei meinem Vater warst. Konntest du ihm helfen?«
»Ja, ja, das war keine allzu schwierige Nummer«, entgegnete er. »Zehn Minuten, höchstens, dann lief der Kasten wieder einwandfrei. Die sind ja alle völlig aus dem Häuschen bei dir zu Hause.«
»Ich weiß, Karl. Du kannst mir glauben, ich bin heilfroh, wenn morgen Abend diese ganze Chose endlich vorbei ist und die Normalität wieder bei uns einkehrt.« Er ging einen Schritt auf den Kriminaltechniker zu. »Aber mal was anderes: Bist du im Japanischen Garten fündig geworden?«
Mertel schlürfte vorsichtig an der braunen Brühe, dann hob er den Kopf. »Das ist vielleicht eine komische Sache, Wolf. Fischdiebstahl – so was Verrücktes hatten wir wirklich noch nicht.«
»Hast du nun etwas Brauchbares gefunden, oder nicht?«
»Ja, schon«, antwortete der altgediente Kriminaltechniker gedehnt. »Zum Beispiel jede Menge Fingerabdrücke. Und Fußspuren natürlich auch. Die beginnen oben am Tor und führen hinunter bis zu dem kleinen See. Sie konzentrieren sich an einer Stelle am Ufer. Dort haben die Leute anscheinend die Fische gefangen.«
»Das waren also mehrere?«
»Sieht so aus. Das Tor war mit einer dicken Kette und einem massiven Bügelschloss gesichert. Aber mit Profiwerkzeug ist das natürlich
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