Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
gestohlenen Fische lag ungeöffnet auf seinem Schreibtisch.
Plötzlich läutete das Telefon.
»Hast du gewusst, dass diese komischen Kois zigtausende Euro wert sind?«, verkündete er, direkt nachdem sich Dr. Schönthaler mit seinem Vornamen gemeldet hatte.
»Natürlich hab ich das gewusst. Aber das ist mir im Augenblick eigentlich ziemlich schnuppe. Kannst du gleich mal zu mir kommen?«
»Wieso?«, fragte Tannenberg, gedanklich auch weiterhin mit der auf seinem Monitor abgebildeten Preisliste der ›Premium-Kois‹ beschäftigt.
»Wegen meines Ha-ra-ki-ris«, zerhackte der Gerichtsmediziner den Begriff in seine einzelnen Silben. »Schon vergessen?« Dann unterbrach er die Verbindung.
Irritiert zog der Leiter des K 1 seine Lederjacke von der Stuhllehne und machte sich auf zu den Katakomben des Westpfalz-Klinikums.
Der mit einem makabren Pathologen-Humor behaftete, skurrile Rechtsmediziner erwartete ihn bereits sehnsüchtig. Ungeduldig wanderte er durch sein weiß gekacheltes Totenreich. Als er vom Flur aus endlich die schlurfenden Schritte seines Freundes hörte, öffnete er von innen die Hydrauliktür.
»Was geht denn hier ab?«, gab der völlig perplexe Tannenberg einen der Lieblingssprüche seines Neffen Tobias zum Besten.
Völlig ungewollt war dieser Satz aus seinem Mund herausgesprudelt. Einfach so, ohne von seinem Bewusstsein dazu autorisiert worden zu sein. Es war ein spontaner Reflex auf das, was er da gerade Unwirkliches erblickte.
Der Sektionsraum war nicht wie sonst üblich von kaltem, grellem Kunstlicht durchflutet, sondern von unzähligen Teelichtern in fahlen Kerzenschein getaucht. Auf jedem der drei Seziertische flackerten jeweils etwa ein Dutzend Kerzen. Selbst die Vitrinen an den Wänden waren mit brennenden Teelichtern bestückt. Auch roch es hier ganz anders als sonst, nicht nach scharfen Desinfektions- und Reinigungsmitteln, sondern ein schwerer, süßlicher Geruch lag in der Luft. Er wurde von Räucherkerzen verbreitet, die im Raum verteilt von mehreren Stellen aus ihre dünnen Rauchfädchen aufsteigen ließen.
Inmitten dieses sakral-romantischen Ambientes stand Dr. Rainer Schönthaler. Er hatte die Hände wie betend vor dem Körper gefaltet. Er trug nicht wie gewöhnlich einen grünen Kittel, sondern einen schwarzen, einreihigen Smoking mit farblich abgestimmter Weste, weißem Hemd und bordeauxfarbenem Kummerbund sowie einer gleichfarbigen Fliege und schwarze Lackschuhe.
»Bist du unter die Satanisten gegangen?«, fragte der merklich verdutzte Leiter des K 1. »Willst du jetzt eine schwarze Messe mit mir feiern, oder was?«
»Nein«, gab der Rechtsmediziner lachend zurück. »Aber eigentlich ist das gar keine schlechte Idee.« Er ging ein paar Schritte auf Tannenberg zu. »Das könnten wir zwei doch wirklich mal machen, alter Junge, nicht wahr. Als Menschenopfer schlage ich unseren allseits geschätzten Herrn Oberstaatsanwalt vor.«
Tannenberg nickte zustimmend.
Unterdessen fuhr Dr. Schönthaler fort: »So falsch liegst du übrigens mit deiner Vermutung gar nicht.«
»Welcher Vermutung?«
»Na ja, dass ich mein steriles Refugium hier unten deshalb ein wenig wohnlicher gestaltet habe, um einen würdigen Rahmen für unsere kleine Feier zu schaffen.« Schmunzelnd registrierte er den nach wie vor auf seinem Smoking festklebenden Blick des alten Freundes. »Manchmal gibt es eben festliche Anlässe, zu denen man durchaus in angemessener Kleidung erscheinen sollte. Im Gegensatz zu dir ist mir diese kulturelle Basisgepflogenheit durchaus bekannt.«
Verstohlen schaute Tannenberg hinunter zu seinen verwaschenen Jeans und den schon ziemlich ausgebleichten Wildleder-Clarks.
»Was haben wir denn zu feiern?«, versuchte er abzulenken.
»Zum Beispiel Abschied. Hast du meine Harakiri-Pläne etwa schon vergessen?«
»Ach, Rainer, jetzt hör doch endlich mal auf mit diesem albernen Quatsch«, entgegnete Tannenberg mit geschürzten Lippen.
Dr. Schönthaler reckte den Zeigefinger empor. »Im japanischen Kulturkreis ist das kein Quatsch, mein lieber Wolf, wirklich nicht. Was macht denn eigentlich deine Jagd nach den Fischdieben?«, ergänzte er mit einem hämischen Grinsen.
»Lass mich wenigstens heute Abend in Ruhe mit diesem Schwachsinn. Sag mir jetzt mal lieber, was wir zu feiern haben.«
»Mein lieber Herr Hauptkommissar«, begann der Gerichtsmediziner mit hochgezogenen Brauen und theatralischer Klangfärbung seiner Stimme, »Sie wissen wohl nicht, was heute für ein
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