Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
deshalb das wie immer tadellose Outfit des Rechtsmediziners, der im Gegensatz zu ihm stets ein besonderes Augenmerk auf ein ansprechendes Äußeres legte.
Dr. Schönthaler war frisch rasiert und roch dezent nach herbem Männerparfum. Er trug zu seinem maßgeschneiderten, dunklen Anzug eine farblich genau darauf abgestimmte Fliege – sein extrovertiertes Markenzeichen, das seinem besten Freund nicht selten Anlass zu spöttischen Bemerkungen gab.
Diesmal allerdings hielt sich Tannenberg mit seinen Provokationen zurück. Er überreichte dem Pathologen sogleich die Niederschrift der Erpresseranrufe, die von Mertel angefertigt und kopiert worden war.
»So, jetzt hat jeder von euch den Text der drei Telefonate vorliegen. Den könnt ihr euch in aller Ruhe irgendwann noch mal durchlesen. Wobei wir heute Nacht die wesentlichen Dinge eigentlich schon herausgearbeitet haben.« Er wandte sich an den Kriminaltechniker: »Karl, ich denke, du solltest uns nun nicht mehr länger auf die Folter spannen und uns endlich sagen, was deine Tonbandanalyse ergeben hat.«
»Es ist mir gelungen, ein Hintergrundgeräusch herausfiltern«, begann Mertel. Als er jedoch die erwartungsvollen Gesichter seiner Kollegen sah, seufzte er und nahm entschuldigend die Schultern hoch. »Tut mir leid, es ist nur der Fernseher gewesen.«
»Sonst nichts?«, bellte Tannenberg enttäuscht zurück.
»Nein, Wolf, leider. Absolut nichts, was uns irgendeinen Rückschluss auf den Ort erlauben würde, von dem aus der Erpresser im Ü-Wagen angerufen hat.«
»Verdammter Mist. Wäre ja auch zu schön gewesen.«
»Auch keine Stimmen oder andere Geräusche, die auf die Anwesenheit weiterer Personen hinweisen würden?«, bohrte Sabrina nach.
»Nein, leider.«
»Na gut, ich meine, das ist doch auch schon was«, bemerkte der Gerichtsmediziner. »Schließlich ist es ein weiteres Indiz dafür, dass wir es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nur mit einem Einzeltäter zu tun haben«,
»Das haben wir heute Nacht auch schon vermutet«, murmelte Tannenberg. Dann erhob er die Stimme: »Und weiter, Karl. Hast du noch etwas gefunden?«
»Ja. Wie ihr vielleicht wisst, unterscheiden sich die Grundfrequenzen beider Geschlechter beträchtlich. So hat die männliche Stimme …«
»Kaaarl«, zog Tannenberg den Namen seines Kollegen in die Länge. »Heute ist zwar Sonntag, aber ich hab trotzdem keine Lust auf eine Predigt. Fass dich also bitte kurz – so wie heute Nacht.«
»Gut: Mann, etwa 20-30 Jahre alt, akzentfreies Hochdeutsch, also kein Pfälzer – kurz und prägnant genug?«, gab Mertel angesäuert zurück.
»Ja, ja, schon. Sei doch nicht gleich eingeschnappt.«
»Bin ich überhaupt nicht. Aber mehr hab ich sowieso nicht rausholen können, so auf die Schnelle. Vielleicht können ja die Psycholinguistik-Experten des LKAs noch mehr aus dem Tonband herausfiltern.«
»Wieso bist du denn so sicher, dass wir es mit keinem Pfälzer zu tun haben?«, wollte Sabrina wissen.
»Ganz einfach«, antwortete der Kriminaltechniker: »Wenn ein Pfälzer versucht, Hochdeutsch zu reden, kann er sich nicht verstellen und …«
Eine helle Klingelmelodie schnitt Mertel ins Wort.
Schmunzelnd schnappte sich Sabrina ihr Handy, das auf dem Wohnzimmertisch lag und drückte die grüne Taste. Kurz danach gefroren ihre Gesichtszüge. »Was? – Wo?«
Die rasante Fahrt führte das weit seine Kompetenzen überschreitende Ermittler-Quartett am Warmfreibad vorbei stadtauswärts. Mit eingeschaltetem Martinshorn und kreisendem Blaulicht brausten sie die L 504 entlang, passierten die Lauterspring und erreichten etwa einen Kilometer später den Hungerbrunnen. Auf Anweisung ihres Chefs bog Sabrina rechts in einen schwarz glänzenden, asphaltierten Waldweg ein. Die schmale Straße führte von hier aus direkt ins herrliche Aschbachtal.
Bereits nach der ersten Wegkehre entdeckten sie das Taxi. Es stand mit geöffneten Türen in einer Ausweichbucht, unmittelbar vor einem Langholzstapel. Ein Streifenwagen parkte in circa zehn Metern Entfernung auf der anderen Seite. Um das Fahrzeug herum lagen Dutzende von Papierbündeln. Sie hatten das Format von banderolierten Geldscheinen.
Trotz des Nieselregens hatte Kriminalhauptmeister Krummenacker anscheinend im Freien auf die Ankunft seiner Kripokollegen gewartet, denn seine Hornbrille war mit unzähligen kleinen Wassertröpfchen besprengt, Gesicht und Haare trieften vor Nässe.
»Ein Spaziergänger hat ihn entdeckt«, sagte der Polizist. »Er sitzt im
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