Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
gut drauf, hat sogar gelacht«, sagte Dr. Schönthaler, gleich nachdem die Aufzeichnung des dritten Erpresseranrufs geendet hatte.
»Aber am Schluss ist er richtiggehend ausgeflippt«, beteiligte sich Mertel an der Feinanalyse des Telefongesprächs. »Affenarsch und so.«
»Das passt wohl nicht so ganz zu deiner These, dass wir es hier mit einem Bildungsbürger-Söhnchen zu tun haben.«
»Wieso, Wolf? Nur, weil dieser beschissene Scheißkerl derbe Schimpfwörter gebraucht hat, meinst du, er könne keine akademischen Weihen besitzen? Ich sag dir dazu nur eins: Auch unter den Verwendern eines elaborierten Sprachcodes gibt es genügend Primitivlinge.«
»Hört, hört«, bemerkte Tannenberg amüsiert.
»Übrigens ist jeder Mensch in einer Extremsituation zu solch einem Rückfall in die Barbarensprache fähig. Und dass der Täter sich in diesem Augenblick in einer ziemlich extremen Lage befunden hat, steht doch völlig außer Zweifel, nicht wahr? Schließlich hat er gerade erfahren müssen, dass man ihm den Lohn für seine anstrengende Arbeit vorenthalten will.«
»Hast schon wieder recht, du elender Mistkerl!«, zollte Tannenberg dem Rechtsmediziner unverhohlen Anerkennung. Unter den Oberbegriff ›Gesprächsinhalt‹ schrieb er ›2 Ultimaten: 22 und 23 Uhr‹. Kopfschüttelnd zog er die Stirn in Falten. »Warum lässt der nur so viel Zeit verstreichen? Zwischen seinem letzten Anruf und der geplanten Geldübergabe liegen gut eine Stunde. Warum nur?«
»Vielleicht, weil er sich um den Taxifahrer kümmern musste«, spekulierte Sabrina.
»Inwiefern kümmern?«
»Na ja, zum Beispiel musste er ihn ja irgendwie überwachen. Dass er auch wirklich seinen Job macht.«
»Kann eigentlich nicht der Taxifahrer selbst hinter der ganzen Sache stecken? Du hast ihn doch gesehen«, fragte die junge Kriminalbeamtin.
»Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Das war ein alter, einfältiger Mann. Dem würde ich sowas nie und nimmer zutrauen. Der war garantiert nur ein harmloser Kurier. Außerdem hat er doch während der Geldübergabe vom Erpresser genaue Instruktionen erhalten.«
»Das könnte natürlich auch fingiert gewesen sein«, bemerkte der Rechtsmediziner.
Stimmt, dachte Tannenberg.
11
Irgendwann in den frühen Morgenstunden dieses trüben Novembertages schickte der Leiter der Mordkommission die Mitglieder seines illegalen, bunt zusammengewürfelten Ermittlerteams nach Hause in ihre Betten. Geradezu selbstverständlich legte Dr. Schönthaler als Termin für die Fortsetzung der nächtlichen Sitzung neun Uhr fest. Obwohl niemand aus dem Quartett an diesem Sonntag Dienst hatte und das K 1 überhaupt nicht für die Bearbeitung dieses Falles zuständig war, erhob keiner Einspruch.
Allerdings war jedem der Beteiligten klar, dass ein anderer Ort für diese neuerliche Zusammenkunft gesucht werden musste. Denn es war absehbar, dass Kriminaldirektor Eberle, der Oberstaatsanwalt oder auch ein LKA-Mitarbeiter irgendwann im K 1 aufkreuzen würden. Spontan schlug Sabrina als neuen Treffpunkt ihr Elternhaus im Dunkeltälchen vor, in das sie erst vor kurzem gemeinsam mit ihrem Ehemann umgezogen war. Nachdem Karl Mertel die wertvolle Kassette an sich genommen und Tannenberg sein Schaubild von der Tafel entfernt hatte, löste sich die illustre Runde auf.
Der diensteifrige Spurensucher ging jedoch nicht gleich nach Hause, sondern zog sich in sein Labor zurück. Dort wollte er die Gesprächsmitschnitte einer weiteren Analyse unterziehen, diesmal unter Verwendung diverser kriminaltechnischer Gerätschaften und Verfahren.
Nach nur wenigen Stunden Schlaf trudelten die übernächtigten Gestalten nacheinander in Sabrinas Elternhaus ein. Obwohl alle ein wenig müde und abgeschlafft wirkten, waren sie dennoch ziemlich schnell geistig wieder auf der Höhe. Dies verdankten sie hauptsächlich dem Konsum mehrerer Espresso, die sie sich in Rekordtempo als Muntermacher einflößten.
Mit ein paar Minuten Verspätung traf nun auch der Rechtsmediziner ein.
»Guten Morgen, ihr Helden von Kaiserslautern!«, begrüßte er die Mitarbeiter des K1.
Wolfram Tannenberg reagierte mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Sei bloß ruhig! Was meinst du wohl, wie oft ich mir diesen Satz heute schon anhören musste.«
Bis auf den Kommissariatsleiter hatten sich alle zu Hause umgezogen. Nur er hatte aus purer Faulheit dieselben Kleidungsstücke übergestreift, die er schon am Abend zuvor getragen hatte. Etwas beschämt registrierte er
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