Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
Einfamilienhaus im Dunkeltälchen in den südlichen Teil des Stadtwaldes.
Um die Mittagszeit herum riss endlich die dichte Wolkendecke auf. Eine rechts neben dem Humbergturm knapp über den Baumwipfeln festgeklebte Novembersonne tauchte das Bremertal in ein malerisches Licht. Auf den Waldwegen türmte sich buntes Herbstlaub. Beim rhythmischen Durchpflügen der Laubberge erzeugten die Ermittler das urtypische, raschelnde Geräusch, wie es nur zu dieser Jahreszeit im Wald erklingen kann. Ein eigentümlicher, würziger Duft stieg ihnen in die Nase.
Sie hatten diese aktive Pause auch dringend nötig. Reichliches Essen und der nicht gerade unbedeutende Alkoholkonsum hatte die Körper träge werden lassen und besonders den Männerköpfen Taucherglocken übergestülpt. Am Anfang trottete jeder schweigend des Weges und hing seinen Gedanken nach. Erst am Reichswaldbrunnen loderte das Gespräch wieder auf.
Karl Mertel bildete mit seinen Händen eine Kelle, schöpfte sich damit eiskaltes Wasser und klatschte es sich prustend ins Gesicht. Mit einem großen Leinentaschentuch wischte er anschließend die Feuchte wieder von der Haut.
»Hat das gut getan«, rief er freudig aus. »Da geht’s einem doch gleich wieder bedeutend besser.« Er wandte sich zu seinen Kollegen. »Wollt ihr euch nicht auch ein bisschen erfrischen?«
Tannenberg schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Nee, nee, darauf verzichte ich gerne. Mir ist es auch so schon frisch genug.«
»Aber es belebt wirklich. Los, mach schon. Hab dich mal nicht so«, beharrte der Kriminaltechniker.
»Komm, lass ihn in Ruhe«, mischte sich Dr. Schönthaler ein. »Unser armer einsamer Wolf mag kein kaltes Wasser.« Er ging einen Schritt auf seinen alten Freund zu, fixierte ihn mit einem prüfenden Medizinerblick. »Außerdem ist er noch immer deprimiert. Schaut ihn euch nur mal an: dieser trübe, leere Blick, diese eingefallenen Wangen, diese schlaffe Körperhaltung. – Und warum? Nur, weil er nicht ermitteln darf, der Arme.«
»Quatsch, ist mit doch egal«, blaffte Tannenberg zurück. »Diesen Job können gerne die LKA-Fuzzis machen. Ich reiß mich nicht darum. Die haben jetzt ja auch endlich, was sie dafür brauchen: ein Bekennerschreiben.«
»Ach, jetzt schwant mir endlich, weshalb das hypersensible Kriminalistengemüt unseres liebenswerten Herrn Hauptkommissars trotz des gleißenden Sonnensonntags immer noch von düsteren Nebelschwaden umwölkt ist«, fabulierte der Rechtsmediziner in Poetenmanier.
Dr. Schönthaler hatte einmal mehr den Nagel auf den Kopf getroffen. Oder besser gesagt: Er hatte brutal an dem Stachel herumgezerrt, der Tannenberg zentimetertief im Körper steckte. Damit riss er die Wunde noch weiter auf. Denn genau das war der springende Punkt: Durch diese neuerliche Entwicklung verfügte nun der Staatsschutz ohne Wenn und Aber über die absolute Ermittlungshoheit in diesem Fall.
Und das ausgerechnet in einem Mordfall, bei dem drei Kaiserslauterer Mitbürger auf brutalste Art und Weise ihr Leben verloren hatten. Aber das Allerschlimmste an der ganzen Sache war: Er, ein Kriminalbeamter mit ausgeprägtem Lokalpatriotismus, konnte nichts gegen diese überheblichen Landeshauptstädter unternehmen. Denn obwohl sie vorsätzlich in sein Revier eingedrungen waren, darin ungeniert herumwilderten und nun auch noch eine groß angelegte Mörderjagd veranstalteten, waren er und sein Team zur völligen Tatenlosigkeit verdammt.
Er war nun endgültig aus dem Spiel. Die von Sabrina überbrachte Nachricht hatte ihm den Rest gegeben. Die ganze Zeit über hatte er inständig gehofft, die Terrorismusspur würde schnell im Sande verlaufen. Aber durch den Eingang eines Bekennerschreibens waren die Zuständigkeiten nun endgültig geklärt. Dieser Fakt war ihm kräftig auf den Magen geschlagen.
Aber nicht nur das, auch sein Rheuma hatte sich zurückgemeldet. Und zwar mit einer derartigen Heftigkeit, dass er den Eindruck gewann, sein Körper wolle die Schmerzen, von denen er seit gestern Abend verschont geblieben war, nun auf einen Schlag nachholen. Seit Sabrina von den LKA-Neuigkeiten berichtet hatte, tat ihm jede Bewegung und jeder Schritt höllisch weh.
»Dieses angebliche Bekennerschreiben muss ja erst mal auf seine Authentizität hin überprüft werden«, versuchte Sabrina ihn ein wenig aufzumuntern. »Es kann sich bei den Verfassern schließlich auch um Trittbrettfahrer handeln.«
»Das nutzt uns aber auch nicht viel. Denn selbst dann wird das LKA hier in den
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