Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
Drei.«
Ein fürchterlich lautes, schneidendes Geräusch peitschte aus den Boxen. Sabrina schrie kurz auf, dann wimmerte sie nur noch. Tannenberg hatte sich an seinen Hosennähten festgekrallt. Seine Gesichtszüge waren völlig erstarrt, genauso wie diejenigen seiner Kollegen. Nach dem Schuss war es einen Augenblick lang gespenstisch still.
Jens: »Neiiiiiiin, Vater, neiiiiiiin!«
Männer-
stimme: »Verflucht, da ist ja noch einer! – Ach, wen
haben wir denn da? Den Jens Klöckner. Dich
Scheißkerl konnte ich schon in der Schule nicht
ausstehen.«
Wieder hörte man fast das gleiche Geräusch, nur ein klein wenig leiser und gedämpfter. Danach warf der Unbekannte offensichtlich die Koffer in den Wald und entfernte sich mit quietschenden Reifen vom Tatort. Anschließend war es totenstill.
»Lass das noch mal laufen. Nur die letzten Sätze«, forderte Tannenberg im Befehlston.
Während das Band zurücklief, verkündete Mertel: »Das könnte dieselbe Stimme sein, wie die des Anrufers im Ü-Wagen. Solch ein akzentfreies Hochdeutsch kann kaum ein Pfälzer sprechen.«
Nachdem diese Stelle der Kassette noch einmal abgespielt worden war, ergriff der Rechtsmediziner das Wort: »Trotz seiner für einen Pfalzwaldbewohner wirklich außergewöhnlichen Sprachkompetenz hast du wohl mit deiner Vermutung recht gehabt, Wolf. Es handelt sich bei dem Täter unzweifelhaft um jemanden hier aus der näheren Umgebung.«
»Möglicherweise kommt dieser Mistkerl sogar aus dem Grübentälchen. Denn eins steht fest: Der Täter und Jens Klöckner haben gemeinsam dieselbe Schule besucht. Vielleicht gingen sie sogar in dieselbe Klasse, zumindest eine gewisse Zeit lang.«
Tannenberg setzte sich zu Sabrina und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie hatte sich inzwischen wieder ein wenig beruhigt, doch ihre Augen waren immer noch gerötet. »Erinnerst du dich noch daran, was Frau Klöckner geantwortet hat, als ich sie nach dem Beruf ihres Sohnes gefragt habe?«
Sabrina machte Anstalten, sich zu erheben. Aber ihr Chef hinderte sie daran, indem er sanften Druck auf ihre Schulter ausübte. »Du brauchst nicht in deinem Notizblock nachzuschauen. Mir ist es gerade eingefallen: Er ist Zimmermann von Beruf, oder täusche ich mich da?«
»Nein, du hast recht. Das hat uns seine Mutter gesagt«, bestätigte die junge Kommissarin.
»Daraus folgt: Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Jens und der Täter die Geschwister-Scholl-Schule besucht.«
»Wieso bist du dir da so sicher?«, fragte Mertel verwundert nach.
»Ganz einfach: Für den Beruf des Zimmermanns benötigt man für gewöhnlich den Hauptschulabschluss. An der Geschwister-Scholl-Schule kann man diesen erwerben. Und da die Hauptschulen im Gegensatz zu Gymnasien festgelegte Schulbezirke haben, bedeutet das: Auch unser Täter lebte – oder lebt vielleicht sogar noch – im Grübentälchen oder in unmittelbarer Nähe davon.«
»Na, das ist ja schon mal was. Und gleich geht’s dir wieder bedeutend besser, nicht wahr, mein alter Freund?«
»Exakt! Das bedeutet nämlich weiter: Diesen ganzen LKA-Staatsschutz-Terrorismus-Mist können wir getrost ad acta legen!«
»Ach, wenn dieser Jens sich doch nur still verhalten hätte«, seufzte Sabrina, deren Gedanken sich nach wie vor mit dem dramatischen Inhalt der Tonbandaufnahme beschäftigten. »Er wäre bestimmt noch am Leben.«
»Das ist möglich«, entgegnete ihr Vorgesetzter. Er kniff die Lippen zusammen, sog tief die Raumluft ein. »Aber ich denke, der junge Mann war in dieser Extremsituation gar nicht in der Lage, rational zu denken. Er konnte wahrscheinlich gar nicht anders, als seinen unglaublichen Schmerz laut herauszuschreien.«
Mit einem Gedankensplitter dachte er an den Senior seiner eigenen Familie. Er schluckte hart. »Schließlich ist gerade sein Vater erschossen worden.« Er räusperte sich mehrmals. »Leute, wir müssen uns sofort an die Arbeit machen. Das sind wir diesen armen Kerlen schuldig.«
»Und wo fangen wir an?«
Ein starker Ruck ging durch Tannenbergs Körper. »In Jens Klöckners Schulzeit.« Er klatschte in die Hände. »Irgendwo werden sich doch wohl ein paar alte Klassenfotos von ihm auftreiben lassen. Auf denen hoffentlich auch dieser Schwerverbrecher abgebildet ist.«
Mit Elan stürzten sich die vier in die Ermittlungsarbeit. Tannenberg splittete die Gruppe. Er und seine Kollegin fuhren mit ihrem zivilen Dienstwagen noch einmal zum Haus des Taxifahrers. Mertel und Dr. Schönthaler dagegen
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