Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
»Also, mein lieber Rainer, ich weiß nicht, ob uns das jetzt entscheidend weiterbringt. Selbstverständlich ist alles möglich. Aber wir sollten doch besser versuchen, uns auf die wahrscheinlicheren Varianten zu konzentrieren.«
»Die da wären?«, gab der Rechtsmediziner ein wenig angesäuert zurück und genehmigte sich zum Trost einen weiteren Belli – wie die beiden zecherprobten Freunde ihr hochprozentiges Lieblingsgetränk in der Kurzfassung nannten.
»A: Terroristischer Hintergrund – genaues Motiv unklar«, antwortete Tannenberg stichwortartig. »B: Einzeltäter hier aus der Gegend – Motiv: Geldgier. Variante C: Mörder hat gemeinsame Sache mit einem Komplizen gemacht. – Motiv: ebenfalls Geldgier. Dieser Mittäter befindet sich möglicherweise in unmittelbarer Nähe des Event-TV -Teams.«
»Womit wir bei den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes angekommen wären«, sagte Mertel. »Denn auch die hatten direkten Zugang zum Ü-Wagen. Zumindest in der Zeit, in der er unbesetzt war. In den Auf- und Abbauphasen, nachts und …«
»Genau: Vielleicht hat ja einer dieser sympathischen Securityleute ein Verhältnis mit der jungen Frau des Politikers. Sein genialer Plan hatte zwei Ziele: A: Den nervenden, scheidungsunwilligen Ehemann aus dem Weg zu räumen. B: Dem jungen Glück mit 10 Millionen Euro eine komfortable Startbasis zu verschaffen.«
Tannenberg schüttelte den Kopf. »Rainer, vielleicht solltest du mal besser damit aufhören, den Belli so lieblos in dich hineinzuschütten. Der ist doch viel zu schade dafür.« Demonstrativ nahm er sein mit Mineralwasser gefülltes Glas und prostete ihm zu. »Es gibt schließlich auch noch andere Getränke.«
Grinsend bediente sich der Rechtsmediziner ebenfalls aus der Sprudelflasche. »Schöner Satz, Wolf. Ich erinnere dich bei Gelegenheit mal daran. Aber, okay. Machen wir also weiter. Und zwar mit der Rekonstruktion des Taxifahrermordes«, schlug er vor und nahm einen tiefen Schluck Mineralwasser.
»Gut, dann leg mal los«, forderte sein bester Freund.
»Erste Frage: Wo hat sich der Täter während dieser etwa eineinhalb Stunden aufgehalten? Ich meine die Zeitspanne zwischen seinem ersten Anruf im Übertragungswagen und der Ermordung der beiden Männer am Hungerbrunnen.«
»Vermutlich hat er in seiner Wohnung vor laufendem Fernseher und eingeschaltetem Computer gesessen«, spekulierte Mertel. »Wenn er die beiden Sprengsätze mit Zeitzündern versehen hat, konnte er sich die Detonationen auf seinem Monitor anschauen.«
»Wenn die Zeitzündervariante zutrifft, folgt daraus aber zwangsläufig, dass der Tod Dr. Winkelmanns totaler Zufall war.«
»So ist es, Wolf«, pflichtete ihm der Kriminaltechniker bei. »Nur wissen wir das noch nicht definitiv. Der Täter kann auch irgendwo in der Nähe gesessen sein und die Sprengsätze mit einer Fernsteuerung gezündet haben. Aber wie gesagt: Ich vermute, er war zu Hause. Von dort aus konnte er auch in aller Ruhe mit dem Regisseur telefonieren.«
»Wie hat er es eigentlich hingekriegt, seine Stimme so zu verändern?«, fragte der Rechtsmediziner.
»Das ist heutzutage wirklich ein Kinderspiel«, antwortete Mertel sichtlich amüsiert. »Einen Stimmenverzerrer kannst du in jedem gut sortierten Spielwarengeschäft kaufen – ein begehrter Scherzartikel zum Beispiel für Halloween. Oder du kannst ihn dir im Internet bestellen. Es geht aber auch direkt über den PC. Kostenlose Software findest …«
»Karl, ich denke, wir sollten jetzt nicht ins Detail gehen«, schnitt ihm Tannenberg das Wort ab. Er wandte sich an Sabrina: »Frau Klöckner hat doch gesagt, dass ihr Mann etwa um 21 Uhr 30 einen Anruf erhalten hat und gleich anschließend weggefahren ist. Hab ich das richtig in Erinnerung?«
»Ja.«
»Bei mir an der Fruchthalle ist er kurz vor 22 Uhr eingetroffen. Macht etwa eine halbe Stunde Differenz. Von der Gut-Heim-Straße bis zur Fruchthalle sind es samstagabends kaum mehr als 5 Minuten Fahrzeit. Bleiben folglich gut gerechnet zwanzig Minuten übrig. Wo war er in dieser Zeit?«
»Vielleicht hat er den Täter irgendwo getroffen«, meinte die junge Kommissarin.
»Um ihm Handy und Headset zu übergeben«, knüpfte der Leiter des K 1 an diesen Gedankengang an. »Darüber liefen ja später die Instruktionen für den Taxifahrer.«
»Aber dazu hätte er doch seine sichere Deckung verlassen müssen. Warum sollte er dieses Risiko eingehen?«, fragte Dr. Schönthaler. »Das konnte er schließlich auch viel einfacher haben.
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