Bonbontag
der letzte Piepser war, nun waren alle Kräfte aufgezehrt.
Paula ließ den Blick von einem Augenpaar zum nächsten schweifen, sie begegnete wohlwollenden, Anteil nehmenden Gesichtern. Dann eine Stagnation.
Paula sah Kaija. Allerdings nicht die Augen. Kaija hielt den Blick gesenkt, sie starrte auf die Tischplatte. Das störte. Das störte ein bisschen. Spielverderberin.
Paula blinzelte, ließ frische Tränen vor den Anblick treten, und Kaijas Umrisse verschwammen. Sie klammerte Kaija aus, entschied sich für eine Welt ohne Kaija.
Inmitten des Verschwommenen.
Man tröstete sie. Bot ihr einen Stuhl an. Aber sie begnügte sich damit, an einer Rückenlehne Halt zu suchen und hinter sich zu deuten, dorthin, wo das unsichtbare Krankenbett stand, in das sie sich gleich legen würde..
Ringsum wurden vorsichtige Fragen gestellt. Waren keine Entwürfe ausgedruckt worden? Könnte sie die wenigstens hier und jetzt auf dem Rechner skizzieren?
Sie erklärte es. Ohne Worte. Bewegte die Lippen, gestikulierte mit den Händen. Es sah aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Die Mitfühlendsten schienen es schnell zu verstehen, die anderen allmählich, und etwas verstanden alle, das Wesentliche, wenngleich jeder auf seine Weise: ein unüberwindbares Hindernis.
Das ist wunderbar, dachte Paula. Das könnte von mir aus den ganzen Tag so weitergehen.
Aber man schlägt sich nicht mit Süßigkeiten den Magen voll.
Sie schüttelte den Kopf, anstatt neuer Tränen kam bereits ein kleines Lächeln. Erleichtertes leises Lachen erklang um den Tisch herum, man wünschte ihr gute Besserung. Laakso versuchte, einen neuen Termin festzulegen.
Dazu hatte Paula durch stumme Gesten eine Menge beizutragen. Die Hände wedelten, sie schaute auf ihr Publikum, auch Kaija schien verschwunden, mit der Masse verschmolzen zu sein. Laakso sah Paula verwundert an.
»Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn wir per Mail auf das Thema zurückkommen ...«, meinte er heiser.
Sie nickte, gestikulierte, geriet leicht ins Taumeln, fand zu aller Erleichterung jedoch Halt an einem Tisch.
Paula war sehr stolz über ihr kleines Taumeln.
Paula nahm ihren Mantel, zwängte den Ordner in ihre Tasche, irgendwas würde sie am Wochenende schon komponieren, sie fühlte sich leicht. Als sie am Konferenzraum vorbeiging, setzte sie eine tragische Miene auf, dazu brauchte es nicht viel, sie ließ einfach ihre echte Müdigkeit unverhüllt aufscheinen. Aber die anderen waren noch gar nicht herausgekommen, die Aufführung war umsonst.
Sie drückte den Knopf am Aufzug. In dem Moment fiel ihr die Schokolade ein. Die zweite Tafel, die sie in der Nachtangebrochen hatte. Sie suchte in ihren Manteltaschen, stieß auf die klebrigen Überreste eines uralten Schokoriegels. Die Aufzugtür ging auf. Paula bückte sich, blickte in ihre Umhängetasche, nahm den Ordner heraus.
Nein. Sie war auf dem Schreibtisch liegen geblieben.
Paula kehrte zurück, ein bisschen zu schnell. Die ersten kamen nun aus dem Konferenzraum, schauten sie mitfühlend an, vielleicht auch neugierig.
Sie huschte an ihren Arbeitsplatz, dort lag die Schokolade am Rand des Schreibtischs, dort, wo ihre Hand sie hingeschoben hatte, als sie eingeschlafen war.
Sie nahm die Tafel, steckte sie in die Manteltasche und nahm den Stummel des Schokoriegels heraus. Den schob sie sich auf der Stelle in den Mund, als Belohnung für den großartigen Auftritt, und wischte die Finger an der Tischplatte ab.
Jetzt drängten sich bereits mehr Leute vor dem Konferenzraum.
Paula korrigierte ihren Gesichtsausdruck, lebte sich in ihre Rolle hinein, suchte Halt an der Wand des Ganges, hörte auf, die Schokolade zu zerkauen, spürte, wie sie sich klebrig über Gaumen und Zahnfleisch legte.
Dann näherte sich von den Aufzügen her eine große, keuchende Gestalt. Es war Karoliina, die Grafikerin, Supermutter dreier Kinder, wahrscheinlich war sie gerade wieder mit einem krähenden Gör beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt gewesen. Mit lauter, vom Keuchen rhythmisierter Stimme grüßte sie auf dem Gang nach rechts und links, in der Hand hielt sie einen Hefezopf, selbstgebacken natürlich, sie war auf dem Weg zum Pausenraum, wahrscheinlich hatte jemand Namenstag. Paula hielt Karoliina für eine anstrengende Idiotin, die in der Illusion lebte, alle Eltern kleiner Kinder seien durch universale Solidarität und das unversiegbare Interesse an der Entwicklung des Nachwuchses, insbesondere seiner Krankheiten, miteinander verbunden.
Sie füllte den
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